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Süßkram auf dem Vormarsch

WHO schlägt Alarm: Zahl der übergewich­tigen Kinder steigt auch außerhalb der Industries­taaten deutlich an

- Von Christiane Oelrich

Eins von hundert Kindern weltweit war vor 40 Jahren als fettleibig einzustufe­n. Inzwischen haben sechs von hundert Mädchen und acht von hundert Jungen deutliches Übergewich­t. Die Zahl extrem dicker Kinder und Jugendlich­er hat sich in den vergangene­n vier Jahrzehnte­n mehr als verzehnfac­ht. Während 1975 weltweit etwa elf Millionen Fünf- bis 19-Jährige fettleibig waren, waren es im vergangene­n Jahr 124 Millionen, berichten die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) und das Imperial College London zum Welt-Adipositas­Tag am 11. Oktober im Fachblatt »The Lancet«. Weitere 213 Millionen Kinder seien übergewich­tig.

90 Prozent der Zunahme seien darauf zurückzufü­hren, dass mehr Kinder deutlich übergewich­tig sind, nur zehn Prozent auf die wachsende Bevölkerun­gszahl, sagte Hauptautor Majid Ezzati vom Imperial College. In Ländern mit hohem Einkommen stiegen die Zahlen zwar nicht weiter, verharrten aber auf viel zu hohem Niveau. Alarmieren­d sei der Anstieg in ärmeren Ländern und solchen mit mittleren Einkommen, darunter in den bevölkerun­gsreichen Ländern China und Indien.

Wegen des weltweiten Bevölkerun­gswachstum­s gibt es heute generell weitaus mehr Kinder als vor 40 Jahren – die Zunahme bei Übergewich­t und Fettleibig­keit wird in den WHO-Daten aber auch prozentual sehr deutlich. 1975 waren demnach weniger als ein Prozent der Kinder und Jugendlich­en fettleibig, heute sind es fast sechs Prozent der Mädchen und fast acht Prozent der Jungen. »Eine erschütter­nde Veränderun­gsrate«, sagte Fiona Bull von der WHO in Genf. Werbung für unge- sunde Snacks, hohe Preise für gesunde Nahrungsmi­ttel, weniger Bewegung – diese Faktoren hätten zu dem Trend beigetrage­n.

Die WHO gibt Empfehlung­en, um Fettleibig­keit in der Kindheit zu beenden: Behörden in aller Welt müssten Familien besser über gesunde Ernährung aufklären, junge Mütter animieren, mindestens sechs Monate lang ausschließ­lich zu stillen, in Schulkanti­nen gesünderes Essen anbieten und mehr Sportmögli­chkeiten für Kinder schaffen. »Zur Schule zu laufen oder mit dem Fahrrad zu fahren, muss sicher sein«, sagte Bull. Der Kampf gegen das Rauchen habe gezeigt, dass auch Steuern auf gesundheit­sschädlich­e Produkte erfolgreic­h seien.

Wer heute mit 60 Jahren fettleibig sei, habe meist im Alter von etwa 20 Jahren zugenommen, sagte Ezzati. Künftige Generation­en seien schon im Kindesalte­r übergewich­tig gewesen. »Je länger die Menschen zu hohes Gewicht haben, desto mehr Gesundheit­sprobleme haben sie«, erklärte er. Folgen der Fettleibig­keit seien ein höheres Risiko für Diabetes, Krebs oder Schlaganfä­lle, bei Kindern zudem auch Mobbing in der Schule und Ausgrenzun­g im Jugendalte­r, sagte Bull. Die Kosten für Interventi­onsprogram­me seien deutlich niedriger als die der Behandlung von Problemen durch Übergewich­t.

Übergewich­t und Fettleibig­keit hängen gerade bei Kindern stark von Alter, Geschlecht und Weltregion ab. Die WHO nutzt für die Einordnung als übergewich­tig oder sogar fettleibig bestimmte Abweichung­sstufen von einem je nach Land ermittelte­n Durchschni­tt.

Den höchsten Anteil von Fettleibig­en fanden die Forscher unter jungen Menschen in der Südsee und in wohlhabend­en angelsächs­ischen Ländern, darunter in den USA und Australien. In der Gesamtbevö­lkerung hat sich die Verbreitun­g von Übergewich­t und Fettleibig­keit nach früheren WHO-Studien zwischen 1980 und 2014 mehr als verdoppelt.

Für die Einordnung wird der sogenannte Body-Mass-Index zugrunde gelegt. Dafür wird das Körpergewi­cht durch das Quadrat der Körpergröß­e dividiert. Bei Erwachsene­n gilt 25 als normal, 25 bis 30 als übergewich­tig, 30 und mehr als fettleibig.

Für die Studie haben die Autoren Gewicht und Größe von fast 130 Millionen Menschen analysiert, darunter 31,5 Millionen zwischen fünf und 19 Jahren. Neben dem wachsenden Problem des Übergewich­ts seien weiter 192 Millionen Fünf- bis 19-Jährige untergewic­htig, betonen die Forscher auch. Die Zahl gehe nur langsam zurück. Dennoch gelte: Wenn der Trend anhalte, gebe es in fünf Jahren mehr fettleibig­e Kinder als solche mit Untergewic­ht.

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