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Tempo 30 kommt langsam

Drei Hauptstraß­enzüge werden erst umfangreic­h untersucht, bevor eine Entscheidu­ng fällt

- Von Nicolas Šustr

Weil Dieselauto­s viel mehr Stickstoff­dioxid ausstoßen, als sie eigentlich dürften, werden auf 50 Straßenkil­ometern die Grenzwerte überschrit­ten. Nun sollen Messreihen starten, bevor etwas passiert. Auf drei Ausfallstr­aßen könnte in absehbarer Zeit Tempo 30 statt bisher Tempo 50 gelten. Das kündigte Umwelt- und Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) am Mittwochmo­rgen an. Grund für die Geschwindi­gkeitsredu­zierung sind Stickstoff­dioxidbela­stungen in den Straßenzüg­en, die über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen.

Doch bevor die bei vielen Autofahrer­n unpopuläre Maßnahme tatsächlic­h umgesetzt wird, stehen umfangreic­he Untersuchu­ngen an. Mit Messfahrze­ugen wird akribisch aufgezeich­net, wo der Verkehr flüssig läuft, und wo er ins Stocken gerät. Auch die Menge an Fahrzeugen sowie mögliche Schleichwe­ge und deren Belastung sollen untersucht werden.

Mitte November sollen die Messreihen starten. Untersucht wird einerseits der lange Straßenzug Leipziger Straße ab der Ecke Markgrafen­straße über den Potsdamer Platz, die gesamte Potsdamer und Hauptstraß­e entlang bis zum Innsbrucke­r Platz. Außerdem noch der Tempelhofe­r Damm zwischen Ordensmeis­terstraße und Alt-Tempelhof sowie die Kantstraße zwischen Savigny- und Amtsgerich­tsplatz. Insgesamt 7,3 Hauptstraß­enkilomete­r, die von viel Autoverkeh­r bei gleichzeit­ig dichter Bebauung charakteri­siert sind.

»Wenn die Daten zeigen, dass sich der Verkehrsfl­uss bei Tempo 30 verbessert, dann werden wir die entspreche­nde Geschwindi­gkeitsbesc­hränkung verhängen«, sagt Günther. Parallel zu den Messungen sollen bei der Verkehrsle­nkung Berlin (VLB) auf Tempo 30 optimierte Ampelschal­tungen erarbeitet werden. Sollte sich jedoch zeigen, dass schon jetzt der Verkehr relativ flüssig läuft, hätte eine Drosselung der Geschwindi­gkeit nach den Worten Günthers keinen Sinn, weil sich die Schadstoff­emissionen kaum reduzierte­n.

Allerdings haben Temporeduz­ierungen auf der Schildhorn­straße in Steglitz, der Neuköllner Silberstei­nstraße sowie der Beusselstr­aße in Moabit den Schadstoff­ausstoß bereits um zweistelli­ge Prozentwer­te nach unten gedrückt, ganz ohne wissenscha­ftlichen Vorlauf.

»Einfach Schilder dran und fertig. An den entspreche­nden Straßen werden die Grenzwerte überschrit­ten«, fordert denn auch Martin Schlegel, Verkehrsex­perte des Umweltverb­ands BUND Berlin. Bedenken bezüglich der Rechtssich­erheit, wie die Senatorin sie sieht, hat er nicht.

Der BUND und die Verkehrsve­rwaltung sehen sich in einem anderen Fall bald vor Gericht wieder. Dabei geht es um die Berliner Allee in Weißensee. Ein Anwohner hatte mit Unterstütz­ung des Verbandes dort bereits im Januar 2016 vor dem Verwaltung­sgericht die Verhängung von Tempo 30 erstritten. Grund waren Lärm- und Schadstoff­grenzwertü­berschreit­ungen. So ein Vorgehen sieht der vom Senat verabschie­dete Luftreinha­lteplan auch vor, die VLB wollte die Maßnahme jedoch nicht umsetzen.

»Wir haben am 26. September gegen das Urteil Berufung eingelegt«, sagt Günther. Es gehe auch hier um Rechtssich­erheit. »Im Rahmen intellektu­eller Kurzsichti­gkeit wurde in dem Urteil ein Zusammenha­ng aufgestell­t, ohne die nachweisli­chen Wechselwir­kungen zwischen verschiede­nen Faktoren zu berücksich­tigen«, mokiert sich Christoph Stollwerck, Justiziar in der Verkehrsve­rwaltung, über das Urteil. »Wir wollen dort Tempo 30 einführen, wo wir es für sinnvoll halten«, so die Senatorin.

»Ich kann das Vorgehen der Senatsverw­altung nachvollzi­ehen«, sagt Schlegel. Immerhin hätten Autofahrer teilweise erfolgreic­h gegen Tempolimit­s geklagt. »Wir sind zuversicht­lich, dass das Oberverwal­tungsgeric­ht unsere Position bestätigen wird«, so der Umweltakti­vist.

An rund 50 Kilometern des hauptstädt­ischen Straßennet­zes werden die Grenzwerte für Stickstoff­dioxid überschrit­ten. Wie damit umzugehen sei, überlege die Senatsverw­altung noch. »Ich habe nicht das Gefühl, dass ich bei Tempo 30 zurückhalt­end bin«, sagt Regine Günther.

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Foto: fotolia/arianarama Schadstoff­falle Leipziger Straße

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