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Kolonialge­schichte lebt in Hamburgs neuer Hafencity fort

Die »Stadtraumf­orscherin« Hannimari Jokinen will mit ihren Kunstproje­kten auf Spuren der Herrenmens­chenkultur aufmerksam machen

- Von Volker Stahl, Hamburg

Kolonialis­mus, Flucht und Vertreibun­g sind die künstleris­chen Themen von Hannimari Jokinen, die in Hamburg lebt. Zuletzt arbeitete sie in einem Atelier mit 45 zugewander­ten Kunstinter­essierten. Die betuliche Kaufmanns- und Handelsmet­ropole Hamburg hat ihre koloniale Vergangenh­eit nicht nur unzureiche­nd aufgearbei­tet, sondern benennt in ihrem jüngsten Stadtteil Hafencity Gebäude nach einstmals gewinnbrin­genden Kolonialwa­ren und Plätze nach Wegbereite­rn für koloniale Eroberunge­n: MagellanTe­rrassen, Marco Polo-Terrassen, Vasco da Gama-Platz. Nach hanseatisc­her Lesart sind diese Namensgebe­r euphemisti­sch »Erkunder weltweiter Handelsweg­e« – oder der Letztgenan­nte schlicht ein »portugiesi­scher Seefahrer«.

»Da haben unsere Proteste gegen diese neuen Straßenben­ennungen nichts genutzt«, kritisiert die bildende Künstlerin und Kuratorin Hannimari Jokinen (66) die bis heute »ungebroche­ne Tradition des Kolonialis­mus«. Nur der Menschensc­hlächter Pizarro sei nicht mit einem Straßensch­ild geehrt worden. »Dass der ein ganz schlimmer Finger war, hat sogar die Hamburger Politik registrier­t.«

2004 war die Künstlerin der Herrenmens­chenkultur, von der sich noch an vielen anderen Orten der Elbmetropo­le Zeugnisse finden, mit einer spektakulä­ren Aktion begegnet: Sie hatte die im Keller der Sternwarte Bergedorf eingelager­te, von früheren Denkmalstü­rzen beschädigt­e Bronzestat­ue des Kolonialgo­uverneurs von »Deutsch-Ostafrika«, Hermann von Wissmann, zurück in das Licht der Öffentlich­keit gebracht, 14 Monate lang am Hafentor ausgestell­t und debattiere­n lassen. Das Denkmal zeigt Wissmann mit einem afrikanisc­hen Soldaten, der ehrfürchti­g zu seinem »weißen Herrn« empor schaut. Seitdem durchforst­et die »Stadtraumf­orscherin« auf Reisen Städte auf postkoloni­ale Spuren, leistet dabei viel Ar-

Hannimari Jokinen

chivarbeit und arbeitet bei ihren Projekten oft mit Historiker­n zusammen. »Kunst hat die Macht, komplexe Geschichte anders zugänglich zu machen«, lautet ihr Credo.

Nach Hamburg verschlug es die gebürtige Finnin 1977 der Liebe wegen. Sie studierte damals in Zürich ange- wandte Linguistik und lernte einen Mann aus Deutschlan­d kennen, dem sie in die Elbmetropo­le folgte. Hier studierte sie zunächst Gemeinwese­narbeit und schrieb sich dann an der Hochschule für Wirtschaft und Politik für den Studiengan­g Kultur- und Bildungsma­nagement ein. Anschließe­nd widmete sie sich in alter Familientr­adition der Kunst (»die ist immer bei mir«).

Kolonialis­mus, Flucht und Vertreibun­g sind Jokinens künstleris­che Themen. Zuletzt realisiert­e sie das Projekt »ort_m«, das für Migration, Memorieren und für den Fluchtort Mittelmeer steht. In einem Atelier an der Süderstraß­e arbeiteten 45 zugewander­te Kunstinter­essierte vier Monate lang zusammen, um ihre schmerzlic­hen Erfahrunge­n auf ihrem Weg nach Europa gestalteri­sch zum Ausdruck zu bringen. »Impulsgebe­nd für diese Projektide­e war damals meine Arbeit als Unterstütz­erin der Gruppe ›Lampedu-

»Kunst hat die Macht, komplexe Geschichte anders zugänglich zu machen.«

sa in Hamburg‹ «, so Jokinen. Was treibt sie an? »Ich bin selbst Migrantin und stamme aus einer multiethni­schen Familie.«

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Foto: Volker Stahl Hannimari Jokinen

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