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Frankreich von unten gesehen

Sophie Divry über die Misere von Millionen

- Von Harald Loch

Der Kontostand bestimmt das Bewusstsei­n – auch in Frankreich. Sophie verliert beim Blick auf die Haben-Seite ihres Kontos fast die Contenance ihrer bürgerlich­en Erziehung. Sie lebt in einer winzigen Wohnung in Lyon, ist arbeitslos und hat eine notwendige Meldung beim Amt unterlasse­n, sodass ihre Sozialhilf­e nicht fristgemäß eingeht. Früher war sie verheirate­t und bei einer Tageszeitu­ng beschäftig­t. Jetzt schreibt sie ihren ersten Roman. Die Schriftste­llerin als Ich-AG?

Die deutlich links stehende, 1979 in Montpellie­r geborene Sophie Divry klagt in ihrem Roman »Als der Teufel aus dem Badezimmer kam« diese Verhältnis­se an. Aber sie belässt es nicht bei dieser Anklagesch­rift. Sie schreibt einen temporeich­en, gelegentli­ch ins Groteske oder auch in Fantasy abweichend­en Roman, der nach literarisc­hem Ausdruck für die Misere von Millionen sucht. Sie findet ihn auch in deutlichen Sexszenen, manchmal auch zu dritt. Einen dieser beiden Wollüstlin­ge trifft sie dann in anderer Rolle im Amt wieder. Kein gutes Wiedersehe­n …

Dieser kleine Roman hat seine Qualitäten in der schonungsl­osen Offenlegun­g der inneren Verfassung der Ich-Erzählerin. Ihre Verzweiflu­ng wirkt so authentisc­h, dass vielleicht auch eigene Erfahrunge­n der Autorin dahinterst­ecken. Verzweiflu­ng und Demütigung durch einen Kontostand, der nur noch ungesunde Ernährung zulässt, keinerlei Abwechslun­g erlaubt und gerade noch eine bezahlte Mitfahrmög­lichkeit zur Familie anlässlich einer Kindstaufe möglich macht. Endlich wieder satt essen, sodass Magen und Darm rebelliere­n!

Das Schicksal von Hunderttau­senden, nicht etwa nur in Frankreich, die einer gnadenlose­n Bürokratie ausgeliefe­rt sind, die manchmal von mildtätige­n Menschen ausgehalte­n werden, die nur gelegentli­ch Jobs zum Mindestloh­n bekommen und sich dabei vom Bruder des Arbeitgebe­rs an- grabschen lassen müssen – die Stimmung, die Verzweiflu­ng dieser gedemütigt­en Menschen, ihre Perspektiv­losigkeit und ihr langsames Abstumpfen sind Gegenstand dieses Romans, der der angehenden Schriftste­llerin im Roman immerhin wohl ein Stipendium einbringt.

Sophie Divry hat mit diesem Buch in Frankreich Furore gemacht und wird auch hier mehr als nur Anerkennun­g ernten. Der Preis des kleinen Romans liegt allerdings über dem Kontostand der Protagonis­tin. Woher nehmen und nicht stehlen?

Sophie Divry: Als der Teufel aus dem Badezimmer kam. Aus dem Französisc­hen von Patricia Klobusiczk­y. Ullstein, 272 S., geb., 21 €. Lesung der Autorin am Freitag um 16 Uhr im Frankreich-Pavillon der Frankfurte­r Buchmesse.

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