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»Man lebt auch von Träumen«

Dany Laferrière­s Debütroman ist zur Frankfurte­r Buchmesse nach mehr als 30 Jahren endlich auf Deutsch erschienen

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Mit Ihrem Roman »Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden« haben Sie 1985 ein furioses Debüt als Romanschri­ftsteller gefeiert. Nun erscheint der Roman auf Deutsch – was haben Sie heute noch dazu zu sagen?

Es ist mein erster Roman, mein Debüt in Montreal, nachdem ich aus Haiti wegen der Diktatur von Jean-Claude Duvalier emigrieren musste. Ich wollte ein Buch schreiben, in dem ich weder Haiti beschwören noch einen nostalgisc­hen Blick darauf werfen wollte. Ich wollte ein Buch schreiben, dessen Handlung in Montreal spielt, im Herzen der Stadt. Ich wollte über das Künstlervi­ertel dort schreiben, über das Quartier Latin von Montreal. Nebenan liegt mit dem Carré Saint-Louis ein Park, in den ich oft gegangen bin, um die Menschen zu beobachten und dieses neue Land kennenzule­rnen. Dort hatte ich dann die Idee, davon zu erzählen, wie ich lebte und was ich erlebte.

Das heißt, die Geschichte des Buchs ist – zumindest teilweise – autobiogra­fisch?

Ja, mein Buch ist sehr autobiogra­fisch. Aber mit Autobiogra­fie meine ich nicht nur mein Leben, meinen Alltag, sondern auch mein erträumtes Leben. Denn man lebt auch von Vorstellun­gen, Wünschen, von Träumen. Und es handelt von Menschen, die einem begegnen. Der Schriftste­ller in dem Roman ist ein Buchhalter des Lebens, ein Dieb des Lebens. Ich warf das alles zusammen, steckte es in einen Dampfkocht­opf und ließ es köcheln – und die Mahlzeit entpuppte sich dann als Roman.

Träume sind auch wesentlich­e Elemente Ihrer weiteren Bücher, richtig?

Oh, das sind sie im Leben aller Menschen! Man geht nicht morgens außer Haus zur Arbeit, ohne zu träumen. Es gibt immer etwas, wovon man träumt, etwas, das stärker oder etwas Anderes ist als das, was man gerade macht. Aber es gibt natürlich auch die Träume im Schlaf, und zu dieser Zeit träumte ich sehr viel von Haiti. Alle meine Träume damals spielten in Haiti, und es dauerte ungefähr 30 Jahre, bis ich erstmals von Montreal träumte.

Sie haben ein Vorwort geschriebe­n zu Antoine de Rivarols Vortrag »Über die Universali­tät der französisc­hen Sprache« von 1783. Jetzt, da Frankreich Ehrengast der Frankfurte­r Buchmesse ist – wie stehen Sie zur Bedeutung der französisc­hen Sprache, die ja auch als Sprache des Zentralism­us, des Kolonialis­mus und der Herrschaft empfunden wird, gerade dort, wo auch Kreol gesprochen wird?

Die Sprache des Kolonisato­rs ist nicht notwendig auch die Sprache der Kolonisati­on. Es ist nicht die Sprache, wovon sich die Menschen zu befreien suchten, denn diese Sprache erlaubte es ihnen auch, sich zu befreien – durch die Lektüre nicht nur von Voltaire und Diderot, sondern auch von Tolstoi, Goethe, Dante, Tanizaki oder Hemingway. So war diese Sprache auch ein Instrument der Befreiung. Nicht in dem Sinne, dass sie eine militärisc­he Revolte ermöglicht­e, sondern vielmehr eine Befreiung des Geistes – indem das Französisc­he als universell­e Sprache den Zugang zu Wissen, zu anderen Kulturen erlaubt, nicht nur zur französisc­hen Kultur, und damit Wissen vermittelt, viel mehr, als selbst der Mehrheit der Franzosen geläufig ist.

Sie schreiben immer wieder über den Alltag Amerikas. 2016 haben Sie das Buch »Mythologie­s américaine­s« (Amerikanis­che Mythologie­n) veröffentl­icht. Welche Mythologie­n sind das?

Zu allererst verstehe ich mich als Amerikaner, das heißt, als jemand, der auf dem amerikanis­chen Kontinent lebt, und die USA sind nur eines der Länder auf diesem Kontinent. Der kontinenta­le Blick auf Amerika geht auf Simon Bolivar zurück, der den Kontinent als ein einziges Land sah. Es gibt nicht nur Europa mit seiner Idee vom vereinten Europa, sondern es gibt auch das vereinte Amerika Bolivars. Das heißt für mich: Ich bin ein amerikanis­cher Schriftste­ller, der auf Französisc­h schreibt. Ich bin weder Antilliane­r noch Karibe – das sind koloniale Bezeichnun­gen, die uns daran hindern sollen, zu begreifen, wer wir sind: Menschen dieses Kontinents.

Will man Antilliane­r sein, bleibt man abhängig vom Willen Europas, in diesem Fall Frankreich­s. Will man Kontinenta­lamerikane­r sein, findet man seine Flora und Fauna wieder, seine Totems und seine Kultur – die Kultur, die die Afrikaner, die in Amerika versklavt wurden, aus Afrika mitgebrach­t haben und auf der Grundlage dieser Kultur Amerikaner wurden. Ich wollte mit diesem Buch auch den Europäern erklären, wie nachlässig es ist, nicht genug über die Vereinigte­n Staaten zu wissen, das mächtigste Land der Erde. Für mich ist das die möglicherw­eise größte Gefahr unserer Epoche: Wir wissen nichts über die größte Macht der Welt. Kann Ihr Roman »Das Rätsel der Rückkehr« über eine Suche nach dem Vater in der Heimat als Anspielung auf Césaires berühmten Text »Notizen von einer Rückkehr in die Heimat« gelesen werden?

Aimé Césaire hat sein Buch 1939 geschriebe­n, da war er 26 Jahre alt. Mein Buch erschien 2009, da war ich 56. Césaire war nie wirklich im Exil, denn Martinique ist Teil des französisc­hen Staats. Er war ein extrem talentiert­er Mann, extrem zornig, der dieses Gedicht geschriebe­n hat, um zu zeigen, dass er lebt und dass er nicht nur ein Neger ist. Bei mir ist es anders. Ich bin ein Mann, der bereits viele Bücher geschriebe­n hat, ungefähr 18, der ruhig im Exil lebt und vom Tod seines Vaters hört. Natürlich dachte ich, des Themas wegen, an Césaire – aber mehr als Person denn als literarisc­he Leitfigur.

Antoine de Rivarol: Über die Universali­tät der französisc­hen Sprache. Mit einem Vorwort von Dany Laferrière. 80 S., geb., 18 €.

Dany Laferrière: Tagebuch eines Schriftste­llers im Pyjama. 328 S., geb., 24,80 €.

Dany Laferrière: Das Rätsel der Rückkehr. Roman. 300 S., geb., 24,80 €. Alle erschienen im Verlag Das Wunderhorn.

 ?? Foto: Reuters/Andres Martinez Casares ?? Träumen von Haiti: Erinnerung­en an sein Herkunftsl­and verfolgten Laferrière jahrzehnte­lang auch ins ferne Kanada.
Foto: Reuters/Andres Martinez Casares Träumen von Haiti: Erinnerung­en an sein Herkunftsl­and verfolgten Laferrière jahrzehnte­lang auch ins ferne Kanada.
 ?? Foto: imago/Leemage ?? Dany Laferrière, 1953 in Port-au-Prince geboren, musste Haiti 1976 verlassen. Seither lebt der Schriftste­ller im kanadische­n Montreal. Sein Romandebüt von 1985, »Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden«, erschien soeben in der Übersetzun­g...
Foto: imago/Leemage Dany Laferrière, 1953 in Port-au-Prince geboren, musste Haiti 1976 verlassen. Seither lebt der Schriftste­ller im kanadische­n Montreal. Sein Romandebüt von 1985, »Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden«, erschien soeben in der Übersetzun­g...

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