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Nicht gegen die Messe, aber gegen die Masse

Seit 22 Jahren gibt es in Frankfurt die »Gegenbuchm­asse«, eine Lesereihe, die linken Verlagen eine Stimme geben will

- Von Max Zeising

Putz bröckelt von den Wänden, Poster und Transparen­te hängen aus, es riecht nach abgestande­nem Zigaretten­rauch: Das Café »Exzess« im Frankfurte­r Stadtteil Bockenheim erweckt nicht gerade einen frischen Eindruck. Vom Glanz der Frankfurte­r Buchmesse, die von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und dem französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron am Dienstag eröffnet wurde, ist der etwas herunterge­kommene Schuppen jedenfalls ziemlich weit entfernt.

Und dennoch haben sich hier am Dienstagab­end etwa 50 Menschen zusammenge­funden, um einer Lesung aus dem Buch »Unter Sachsen« zu lauschen. Auf dem Podium sitzen Autorin Heike Kleffner, die das Buch gemeinsam mit dem Journalist­en Matthias Meisner geschriebe­n hat, und der schwarze Aktivist und Blogger Ali Schwarzer. Abwechseln­d lesen Kleffner und Schwarzer Passagen aus dem Buch vor: Es geht um rechte Gruppen in Sachsen, die gegen Linke und Geflüchtet­e hetzen, und um eine CDU, die wegschaut. »Ich bin aus Ostdeutsch­land weggezogen, weil ich es dort nicht mehr ausgehalte­n habe«, erzählt Ali Schwarzer.

So kurz nach der Bundestags­wahl, bei der die AfD stärkste Kraft im Freistaat wurde, ist das ein hochbrisan­tes Thema. Die Lesung findet jedoch nicht auf der Buchmesse, sondern im Rahmen der »Gegenbuchm­asse« statt, einer linken Alternativ­e zum großen Messe-Event. Einer recht kleinen, wohlgemerk­t. Bis Sonntag stehen gerade einmal 25 Veranstalt­ungen auf dem Programm. Kein Vergleich zur großen Schwester.

Doch der Anspruch der »Gegenbuchm­asse« ist es auch nicht, eine ähnliche Größe zu erlangen. Vielmehr will man sich schwerpunk­tmäßig um jene Verlage kümmern, denen die Buchmesse zu groß geworden ist und die sich dort keinen Stand mehr leisten können. Insbesonde­re

Mitorganis­atorin Adele Müsser

ihnen wollen die Initiatore­n einen Raum bieten: »Wir sind gegen die Kommerzial­isierung von Literatur«, stellt Adele Müsser aus dem Organisati­onskreis klar und fügt an: »Wir sind nicht gegen die Messe, sondern gegen die Masse.«

Thematisch wird dabei kein spezielles Motto verfolgt, sondern eine große Bandbreite abgedeckt: von Fußball über deutschen Protestant­ismus bis zu Polyamorie. Der Höhepunkt ist die große Lesenacht am Sonnabend. Die Veranstalt­ungen finden in verschiede­nen alternativ­en Räumen in Frankfurt am Main statt, wie dem Café »Exzess«, dem »Centro« und dem »Club Voltaire«.

Nach der Lesung aus dem Buch »Unter Sachsen« sitzen Adele Müsser und ein Mann aus dem Organisati­onskreis, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, im Café und wirken entspannt. Bei einem Glas Rotwein erzählen sie, wie sie »das Ding hier gewuppt« haben, vor 21 Jahren. Damals, 1996, riefen sie die »Gegenbuchm­asse« ins Leben: »Es gab in dieser Zeit zur Buchmesse selbst deutlich weniger Lesungen. Mittlerwei­le hat sich das geändert. Die Buchmesse hat auf uns reagiert.« Mit mehr als 20 Verlagen ist die »Gegenbuchm­asse« heute in Kontakt, darunter Ch. Links, PapyRossa und Unrast. Gewiss sind keine rechten Verlage dabei, anders als auf der Buchmesse, wo der Antaios-Verlag Autor Akif Pirincci und Identitäre­n-Chef Martin Sellner eingeladen hat. »Faschismus ist keine Meinung«, sagt Adele Müsser dazu.

300 bis 400 Leute kommen jedes Jahr zu den Veranstalt­ungen. Die alternativ­e Lesereihe hat sich etabliert, wenn auch nur am Rand, und wird sogar im Programm der Buchmesse erwähnt. Ob es die »Gegenbuchm­asse« auch in den nächsten Jahren noch geben wird, ist jedoch unklar. Die Veranstalt­er müssen von Jahr zu Jahr denken, denn sie arbeiten ausschließ­lich spendenbas­iert. Der Eintritt ist frei, die Autoren erhalten kein Honorar.

»Wir sind gegen die Kommerzial­isierung von Literatur.«

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