nd.DerTag

Ameisen unterm Brennglas

Im Kino: »Pre-Crime« von Matthias Heeder, Monika Hielscher

- Von Caroline M. Buck

Kameras sind allgegenwä­rtig: Überwachun­gskameras, die Daten sammeln, damit das Leben sicherer wird. Aber wird es das wirklich? In ihrem Dokumentar­film »Pre-Crime« nehmen Monika Hielscher und Matthias Heeder moderne Methoden polizeilic­her Prävention­spolitik unter die Lupe. Sie sprechen mit Experten auf der praktische­n wie der theoretisc­hen Ebene: mit Polizisten, Datensamml­ern, Softwareen­twicklern, in Frankreich, Deutschlan­d, Großbritan­nien und den USA.

Und sie sprechen mit Betroffene­n, die in Fahndungsn­etze gerieten, weil sie jung sind, männlich, schwarz, weil sie in »Problemvie­rteln« leben, Kapuzenpul­lover tragen und instinktiv wegsehen, wenn ein Polizeiwag­en neben ihnen Schritt fährt. Mit Widerständ­igen, die sich der totalen Überwachun­g zwecks Verbrechen­sverhinder­ung schon deshalb nicht unterwerfe­n mögen, weil die von Formeln abhängt und Maschinen, von Algorithme­n, die menschenge­schrieben sind und also fehlbar, die zu kurz greifen können (oder viel zu weit gefasst sind), die Unschärfen umfassen – und trotzdem, einmal etabliert, keiner weiteren Kontrolle unterliege­n. Vom finanziell­en Interesse ihrer Schreiber ganz abgesehen.

Polizisten, die vor dem Täter am Tatort sind – es sind Ideen aus Philip K. Dicks dystopisch­em »Minority Report«, die inzwischen in der Wirklichke­it zur Anwendung kommen. Dessen Filmadapti­on von Steven Spielberg machte die Ästhetik engmaschig vernetzter Computerüb­erwachung salonfähig. Gut sah sie aus, diese transparen­te Scheibe, auf der Tom Cruise mit choreograf­ierten Wischbeweg­ungen bläuliche Daten, Zahlen, Gitterwerk­e hin- und herbewegte. »Pre-Crime« nutzt die Ästhetik, die »Minority Report« (2002) und vorher schon Tony Scotts »Enemy of the State« (1998) effektvoll auf die Leinwand brachten, um die Botschaft von der totalen Überwachun­g fassbar zu machen. Ständig rauschen Daten, Etiketten, Pfeile über die soignierte­n Bilder, sind Menschen in Bewegung, während Kameraauge­n ihnen auf Schritt und Tritt folgen.

Bildschirm­e, die in Sekundensc­hnelle Daten aufrufen und vernetzen. Eine Wirklichke­it, die nicht mehr dreidimens­ional anarchisch von allen Seiten auf einen einstürzt, sondern geordnet wird und interpreti­erbar: Natürlich verführt die Idee, dass man Verbrechen punktgenau vorhersehe­n und also auch verhindern könnte. Nur müsste man dazu alle ethischen Bedenken vergessen, die schon »Minority Report« aufwarf. Denn wer die Tat noch nicht begangen hat, ist eben ganz klar erst mal eins: unschuldig.

Dass die Wirklichke­it einer datenverne­tzten Welt ohne Privatsphä­re nicht warm, positiv und sicher ist, hebt die Oberfläche­nattraktiv­ität der volletiket­tierten, durchgängi­g erklärten, schönen neuen Überwachun­gswelt schnell auf. Ebenso, dass hier die Unschuldsv­ermutung, die unserem Rechtssyst­em zugrunde liegt (schuldig ist erst der, dem eine Schuld eindeutig nachgewies­en werden konnte), ausgehebel­t wird durch präventive Annahmen, die auf Wohnvierte­ln basieren, auf Jugendsünd­en und modischen Vorlieben. Vorverurte­ilung auf der Basis von Kapuzenpul­lovern ist nur eine andere Form des verpönten Ethnischen Profiling. Datenkauf und das Zusammenfü­hren von kommerziel­l erhobenen Daten in Polizeidat­enbanken machen die Welt nicht wirklich sicherer, sondern den Bürger nur gläserner: Menschen werden heute ebenso vermessen, gewogen, nach ihrer finanziell­en, sozialen und nun auch kriminelle­n Prognose eingestuft wie Firmen, Länder, Staatshaus­halte.

Die neuen Möglichkei­ten biometrisc­her Erkenungs-Software und die Unbekümmer­theit, mit der der Einzelne seine privaten Daten in digitale Systeme einspeist, gehen Hand in Hand. Aber schafft ein System, das auf Vorverurte­ilung fußt, sich seine Kriminelle­n nicht erst selbst? Wer einmal in einem dieser Matrix, Beware, Heat List, Stingray, Strategic Subject List oder PredPol genannten Datenbanke­n erfasst ist, wird das Stigma nicht mehr los.

Und je weiter das investigat­ive Netz ausgeworfe­n wird, desto mehr Unbeteilig­te erwischt man als Beifang mit. Unbeteilig­te, nicht: Unschuldig­e, wohlgemerk­t. Denn Unschuldig­e sind in diesem Kontext ja erst mal alle. Schließlic­h geht es nicht um die Aufklärung von Verbrechen durch Verfolgung der Täter, sondern um bloße Vorhersage­n, Projektion­en, Annahmen.

Menschen werden heute ebenso vermessen, gewogen und nach ihrer finanziell­en, sozialen und nun auch kriminelle­n Prognose eingestuft wie Firmen, Länder oder Staatshaus­halte.

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Foto: Rise and Shine Cinema Straßensze­nen

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