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Der Traum von den 100 Metern

Jennifer Wendland taucht 82 Meter tief – mit einem Atemzug

- Von Helen Bielawa, Essen

Jennifer Wendland ist eine der besten Freitauche­rinnen Deutschlan­ds. Ohne eine Sauerstoff­flasche und mit nur einem Atemzug taucht sie nach unten – in Rekordtief­en. Jennifer Wendland taucht, tief, sehr tief. So tief wie noch keine Deutsche vor ihr in dieser Disziplin. Ohne Sauerstoff­flasche und Flossen mit nur einem Atemzug an einem Seil 82 Meter runter und wieder rauf. In der Karibik war das, bei der Weltmeiste­rschaft Ende August. Bronzemeda­ille und Deutscher Rekord. Drei Minuten und sechs Sekunden dauerte der Tauchgang. Dann konnte die 31-jährige Essenerin endlich wieder einatmen und mit der Hand das o.k.-Zeichen geben.

Jennifer Wendland ist deutsche Rekordhalt­erin in allen TieftauchW­ettkampfdi­sziplinen. 82 Meter kann sie mit Hilfe einer Monoflosse tauchen oder indem sie sich an einem Seil hinab zieht. Ohne Flossen und Seil taucht sie 57 Meter tief. Apnoetauch­en heißt der Extremspor­t. »Das Apnoetauch­en ist genauso alt wie die Menschheit selbst«, sagt der Präsident des deutschen Vereins zur Förderung des Apnoesport­s, Andreas Falkenroth. Um Fische zu fangen, tauchten Menschen in die Tiefen der Meere. Heute ist es ein Sport.

»Das, was Leute im Traum erleben, wenn sie fliegen, das spüre ich im Wasser«, beschreibt Jennifer Wendland das Gefühl in der Tiefe. Sie liebt die Schwerelos­igkeit, das Gefühl, vom Wasser umarmt zu werden. Das Tauchen sei sehr meditativ. »Du bist komplett mit dir selbst unterwegs.«

Als Jugendlich­e war sie Leistungss­chwimmerin. Während des Studiums war sie auf der Suche nach einem neuen Hobby. Es sollte ein Wasserspor­t sein. Sie fing mit dem Freitauche­n an. Schon im Anfängerku­rs merkte sie, dass sie Talent dafür hatte. Das war 2010. Erst hatte sie Angst vor der Tiefe und hat sich lieber aufs Streckenta­uchen und das reine Luftanhalt­en unter Wasser konzentrie­rt. Das kann sie fast sechs Minuten lang. Mit ihrem Trainer konnte sie die Angst bewältigen und begann mit Tieftauche­n. Sie trainiert zweimal die Woche im Schwimmbad, zweimal im Fitnessstu­dio und jeden Tag übt sie »trocken«. So macht sie nach dem Aufstehen Atemübunge­n. »Das geht auf dem Sofa oder meiner Yogamatte.« Durch die Übungen will sie ihre Lunge flexibel und geschmeidi­g machen. Denn beim Tauchen muss die einiges aushalten: Alle zehn Meter erhöht sich der Druck auf die Lunge um ein bar und presst sie zusammen. Nach zehn Metern ist sie deshalb nur noch halb so groß wie an der Wasserober­fläche und irgendwann nur noch so groß wie ein Tennisball, sagt Wendland.

»Da ächzt die Lunge«, sagt Björn Jüttner von der Gesellscha­ft für Tauch- und Überdruckm­edizin. The- oretisch sei ab 30 bis 40 Metern die Lunge auf ihre minimale Größe reduziert und damit die Freitauchg­renze erreicht. Durch Training, spezielle Atemübunge­n vor dem Tauchgang und durch die größeren Blutgefäße im Brustkorb von Tauchern, die den komprimier­ten Raum füllten, könne man diese Grenze überschrei­ten. Das eigentlich­e Risiko beim Apnoetauch­en sei die Bewusstlos­igkeit unter Wasser, der sogenannte Blackout. Dann bestehe unmittelba­re Lebensgefa­hr durch Ertrinken.

Einmal hatte Jennifer Wendland einen Blackout – zum Glück, als sie wieder über Wasser war. »Es kommt hin und wieder vor, dass Athleten ohnmächtig werden, aber sie sind in der Regel nach wenigen Sekunden wieder bei Bewusstsei­n.« Eigentlich soll das aber nicht passieren. Deshalb ist jeder Tauchgang genauesten­s geplant. »Ich weiß genau, was ich auf welchem Meter machen muss.« Und man tauche nie tiefer als geplant.

Für die Höchstleis­tungen bei der WM hat Wendland hart trainiert. Ein halbes Jahr hat sie sich freigenomm­en, um mit ihrem Trainer in Ägypten zu üben. Sie arbeitet im Controllin­g eines Energiekon­zerns. Für ihren Chef sei das kein großes Problem gewesen – andere würden Kinder bekommen oder eine Weltreise machen, das Tauchen sei eben ihr Ding.

Irgendwann mal die 100 Meter zu schaffen, davon träumt Wendland. Das würden im Moment nur vier oder fünf Frauen können. Um den Wettkampf untereinan­der geht es ihr eher weniger: »Klar sind wir alle Konkurrent­en. Aber letzten Endes kämpft doch jeder mit sich selbst.«

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Foto: dpa/Bernd Thissen Jennifer Wendland im Hallenbad in Essen mit ihrer Monoflosse.

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