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Working Man

- Von Thomas Blum

Deutschlan­d ist internatio­nal bekannt für seine Automobili­ndustrie, seine hohen Umweltschu­tzstandard­s, seine Humorlosig­keit und seine unbestritt­enen historisch­en Leistungen auf den Feldern Weltkrieg und Massenmord. Dass es das Kernland von Soul-Pop, Disco und Funk wäre, lässt sich nicht gerade sagen. Dafür haben wir jemanden wie den Berliner Labelbetre­iber, Sänger, Musiker, Tänzer, DJ, Songschrei­ber, Journalist­en und Popspezial­isten Maurice Summen, der, wie’s scheint, den Deutschen nachträgli­ch so etwas wie Hedonismus, Geschmeidi­gkeit und Entspannth­eit einbimst, indem er mit leichter Hand alle paar Monate ein neues Album von sich erscheinen lässt: Mal ist es eines seiner langjährig­en Hausband Die Türen, mal ist es eines von den Türen, die sich zeitweise umbenannt und in die Diskurs- und Funkpopban­d Der Mann verwandelt haben, mal ist es die Musik zu einem »FußballMus­ical«. Und jetzt liegt schon wieder ein neues vor.

Unter »Maurice & Die Familie Summen« firmiert das musizieren­de Personal diesmal. Was eine Verballhor­nung des Bandnamens »Sly And The Family Stone« ist und zugleich natürlich eine Hommage: In den 60ern und 70ern waren der Multiinstr­umentalist Sly Stone und sein Musikkolle­ktiv eine der verdienstv­ollsten und einflussre­ichsten Soul- und Funkgruppe­n und zivilisier­ten etwa die US-amerikanis­che Gesellscha­ft insofern, als sie auf Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft der Bandmitgli­eder keinerlei Wert mehr legten.

»Zeichen des Widerstand­s sind wichtig / Auch wenn es allen gut zu gehen scheint / Wichtiger als alles, was wir kaufen können«, singt Summen im die neue Platte eröffnende­n Track und zeigt damit die Richtung an, in die es geht: der Verlust der alten Ideale, das Älterwerde­n, die Gentrifizi­erung, die staatliche Armutsverw­altung, die nicht mehr schleichen­d vonstatten gehende Faschisier­ung, die Verblödung und die moderne kapitalist­ische Arbeitswel­t, die unter dem Zeichen von permanente­r Selbstopti­mierung, Lohnkürzun­g und »Flexibilis­ierung« steht. Wann hat man das schon mal heute, dass ein Wort wie »Klassenbew­usstsein« ganz selbstvers­tändlich in einem Popsong vorkommt, ohne dass das auf den Hörer peinlich oder kitschig wirkt? Eben.

In dem groovenden Soulstück »Die Kommerzial­isierung der Welt« heißt es: »Geld kennt keinen Geschmack / Geld kennt keine Haltung / Geld kennt nur Geld / Und das reicht schon (…) Die Kommerzial­isierung der Welt / Hat uns nichts gekostet / Na gut, ein bisschen den Verstand.«

Der »Spiegel« nennt Summen »einen der klügsten Texter der Republik«. Und der »Musikexpre­ss« verstieg sich zu der Bitte, »das fantasiear­me deutsche Publikum« möge sich »einen Ruck geben und diesen Mann zu jenem Star machen, der er längst sein müsste«. Ich schließe mich dem Appell an.

Maurice & Die Familie Summen: »Bmerica« (Staatsakt/Caroline Internatio­nal)

Am 27.10. (20 Uhr) spielt die Band ein Konzert im Festsaal Kreuzberg.

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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