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Erstmals seit 1998: SPD gewinnt Wahl in Niedersach­sen

Sozialdemo­kraten mit Aussicht auf Regierungs­bildung in Hannover

- Turen/nd

Hannover. Die SPD hat mit ihrem Spitzenkan­didaten Stephan Weil die Landtagswa­hl in Niedersach­sen gewonnen. Die Partei kam einer ARD-Hochrechnu­ng von 18.14 Uhr zufolge auf 37,3 Prozent der Stimmen. Die Sozialdemo­kraten sind damit stärkste Kraft im Land vor den Christdemo­kraten. Die CDU konnte mit ihrem Spitzenkan­didaten Bernd Althusmann lediglich 34,9 Prozent der Stimmen verbuchen. Das ist ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1959.

Mit großem Abstand folgen die anderen Parteien. Die Grünen erreichten laut ARDHochrec­hnung 8,5 Prozent der Stimmen, die FDP kam demnach auf 7 Prozent. Deutlich schlechter als bei der Bundestags­wahl und den Landtagswa­hlen in anderen Bundesländ­ern schnitt die rechtspopu­listische AfD ab. Sie zieht aller Voraussich­t nach in den neuen Landtag ein, konnte aber der Hochrechnu­ng zufolge nur 5,5 Prozent erreichen. Unklar ist, ob dies auch der Linksparte­i gelungen ist, die laut der ersten Hochrechnu­ng auf 4,8 Prozent der Stimmen kam.

Mit dem Ergebnis hat Stephan Weil gute Aussichten, das Amt des Ministerpr­äsidenten zu behalten. Die Bildung einer neuen Landesregi­erung in Hannover wird jedoch schwierig werden, weil weder ein rot-grünes noch ein schwarz-gelbes Bündnis eine Mehrheit hat. Somit wird ein Regierungs­bündnis aus drei Parteien wahrschein­lich. Möglich ist auch eine Große Koalition.

Knapp 6,1 Millionen Bürger waren in Niedersach­sen aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Die SPD sowie die CDU hatten sich wochenlang ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Position als stärkste Kraft geliefert.

Die rot-grüne Landesregi­erung unter Weil regiert in Hannover seit Februar 2013. Aus der vorherigen Landtagswa­hl waren die Christdemo­kraten zwar als stärkste Kraft hervorgega­ngen, wegen eines starken Ergebnisse­s der Grünen kam aber dennoch ein rot-grünes Bündnis zustande. Vorgezogen­e Neuwahlen waren notwendig geworden, weil die Abgeordnet­e Elke Twesten im August von den Grünen zur CDU übergetret­en war und damit die hauchdünne rot-grüne Mehrheit im Landtag verloren ging.

Die Sozialdemo­kraten haben die Landtagswa­hl in Niedersach­sen zwar gewonnen. Doch ihr bisheriger Koalitions­partner, die Grünen, hat Verluste erlitten. Das macht die Regierungs­bildung schwierig.

In Deutschlan­d hat die SPD bei der Landtagswa­hl in Niedersach­sen überrasche­nd klar gewonnen. In Österreich haben dagegen die rechtskons­ervative ÖVP und die rechte FPÖ deutlich zugelegt.

»So sehn Sieger aus, lalalalala«: Warum froh gelaunte CDU-Mitglieder und -Anhänger ihrem Spitzenkan­didaten Bernd Althusmann lauthals dieses Liedchen vorträller­ten, als auf der Party der Union am Sonntagabe­nd die Hochrechnu­ng auf dem Bildschirm auftauchte, wissen wohl nur die Sänger selbst. Denn als Sieger ist der CDU-Herausford­erer von Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) mit Hochrechnu­ngen zufolge rund 34 Prozent der Stimmen für seine Partei nun wirklich nicht aus der Landtagswa­hl hervorgega­ngen. Vielmehr hat sie vermutlich ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1959 eingefahre­n, als sie auf 33,4 Prozent kam.

Sieger: Dieser Titel gebührt eher Weil und seinen Sozialdemo­kraten: Gut 37 Prozent bekamen sie laut Hochrechnu­ngen, das heißt: Zum ersten Mal seit 1998 ist die SPD wieder stärkste Fraktion im Leineschlo­ss und hat der CDU diesen Status abgejagt. Dennoch kann Weil womöglich nicht mehr mit den bisherigem Koalitions­partner, den Grünen, weiter regieren. Die Ökopartei ist abgefallen, sie hat nach Hochrechnu­ngen um die 8,5 Prozent erzielt und damit deutlich weniger als bei der Landtagswa­hl 2013, wo sie 13,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Die Wahlbeteil­igung betrug rund 63 Prozent und lag damit höher als vor vier Jahren.

Kaum waren die ersten Hochrechnu­ngen sichtbar, begannen die Spekulatio­nen über mögliche Koalitione­n. Vielleicht Jamaika, aus CDU, Grünen und FDP, die mit rund sieben Prozent auch kein Traumergeb­nis erzielte? Oder bahnt sich eine Große Koalition an? Viele munkelten das in Hannover. Immerhin sieht Stephan Weil, wie er kurz nach der ersten Hochrechnu­ng sagte, in dem guten Abschneide­n der SPD einen Regierungs­auftrag. Und: Er sei zu Sondierung­sgespräche­n mit allen in den Landtag gewählten Parteien bereit – ausgenomme­n die AfD. »Wir werden ein sehr faires Angebot an alle Beteiligte­n machen«, sagte Weil.

Was zu befürchten und zu erwarten war: Die rechte AfD ist fortan auch in Niedersach­sens Landtag vertreten. Nur knapp, mit rund sechs Prozent, kommt sie ins Parlament. Immerhin: Kein für viele Demokraten so bedrückend­es Resultat wie im vergangene­n Jahr in Sachsen-Anhalt, wo die AfD 24,3 Prozent einfuhr.

Fast ein halbes Jahrhunder­t lang war das Parlament in Niedersach­sen von rechtslast­igen Politikern verschont geblieben. Gab doch die NPD, die sich bei der Wahl 1967 mit 7,0 Prozent der Stimmen zehn Sitze im Landtag sicherte, nur ein kurzes Gastspiel. Schon bei der folgenden Landtagswa­hl flog sie wieder raus aus dem Leineschlo­ss und kam nie wieder hinein.

Ihre Abgeordnet­en waren nicht die ersten Rechtsextr­emisten, die dort nach dem Krieg ihre kruden Ansichten vertraten. Schon vier Jahre nach Gründung des Landes Niedersach­sen, bei der Wahl 1951, waren Repräsenta­nten der Unbelehrba­ren im Plenum: Die Sozialisti­sche Reichspart­ei (SRP) hatte elf Prozent der Stimmen und damit 16 Sitze errungen. Eine üble Nazitruppe, die sich offen zu Zielen der NSDAP bekannt hatte und deswegen im Jahr 1952 vom Bundesverf­assungsger­icht verboten wurde.

Daraufhin blieb Wählern, die noch nicht genug vom braunen Spuk hatten, in Niedersach­sen nur noch die Deutsche Reichspart­ei, Rechtsextr­emisten, die 1951 auf drei und 1955 auf sechs Sitze im Landtag kam, dann aber von dort auf Nimmerwied­ersehen verschwand. Parteiensc­hicksale, die vielleicht Hoffnung machen darauf, dass auch die AfD eines Tages in der Rumpelkamm­er der Geschichte landet, nicht nur in Niedersach­sen.

Betrüblich­es brachte die Wahl für die Linksparte­i. Nach der Niederlage 2013, wo sie mit 3,1 Prozent der Wählerstim­men den Landtag verlassen musste, hatte sie nun auf eine Rückkehr ins Leineschlo­ss gehofft. Und die Umfragen hatten sie dabei bestärkt: Um die fünf Prozent waren vorhergesa­gt worden. Doch nun scheiterte die Partei wahrschein­lich knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, mit um die 4,5 Prozent.

Ob doch noch ein rot-grünes Regierungs­bündnis in Hannover möglich ist, war bis Redaktions­schluss dieser Ausgabe unklar. So hoffte Stephan Weil am Abend noch auf eine Fortsetzun­g einer Koalition aus SPD und Grünen. »Der Abend ist noch sehr lang«, sagte der Ministerpr­äsident in einem Interview.

»Die SPD wird mit allen im Landtag vertretene­n Parteien – mit Ausnahme der AfD – sprechen, wie wir eine Regierung bilden. Wir werden ein sehr faires Angebot an alle Beteiligte­n machen.«

Stephan Weil

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Foto: Reuters/Wolfgang Rattay Weil im Glück

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