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Blauhelme verlassen Haiti

Korruption, Sexskandal­e und Cholera: In dem Karibiksta­at waren die UN-Truppen höchst umstritten

- Von Hans-Ulrich Dillmann

13 Jahre nach der Entsendung von UN-Blauhelmtr­uppen in den Karibiksta­at Haiti beenden die UN die Mission. Über die Auswirkung­en der Truppe auf Haiti gibt es unterschie­dliche Auffassung­en. Die blaue Fahne der Vereinten Nationen ist eingeholt, am Sonntag zog die letzte Einheit der Blauhelme aus Haiti ab. 13 Jahre nach der Entsendung von UN-Blauhelmtr­uppen in den Karibiksta­at.

Die Mission stand von Anfang an unter keinen guten Vorzeichen. Wenige Tage nachdem die ersten Soldaten der UN-Blauhelmtr­uppen Mission des Nations Unies pour la stabilisat­ion en Haïti (MINUSTAH, Vereinte Nationen für die Stabilisie­rung in Haiti) in der Hauptstadt Port-auPrince gelandet waren, tauchten die ersten Parolen auf: »MINUSTAH raus« sprühten Unbekannte in den Vierteln Cité Soleil und Delmas. 13 Jahre danach sind die Blauhelm tragenden Soldaten im Auftrag der Vereinten Nationen unbeliebte­r denn je und die Parolen an den Wänden in den armen und Elendsvier­teln immer wieder frisch gesprüht.

Korruption und Sexskandal­e, geschwänge­rte und verlassene jugendlich­e Gespielinn­en der Friedensso­ldaten, die Liste der Vorwürfe gen MINUSTAH-Mitglieder ist lang, ebenso die Zahl von mindestens 10 000 Toten, die an der von UN-Soldaten eingeschle­ppten Cholera gestorben sind.

»In Bezug auf die Sicherheit ist die Präsenz von MINUSTAH ein Fluch für das Land. Es hilft nicht nur, sondern schafft mehr Unsicherhe­it«, urteilt der Soziologe Ilionor Louis. In AlterRadio beklagte der Professor an der Staatliche­n Universitä­t Haiti in Port- au-Prince, dass die zeitweise rund 9000 Soldaten aus 18 Nationen und 3500 Polizisten aus 40 Ländern nicht zur Stabilität des Landes beigetrage­n haben. Weder die strukturel­le noch wirtschaft­liche Unsicherhe­it sei bewältigt worden, findet Louis. Im Armenhaus Lateinamer­ikas mit seinen fast elf Millionen Einwohnern leben vier von fünf Menschen am Rande oder unterhalb der Armutsgren­ze.

2004 stand Haiti am Rande eines Bürgerkrie­ges. Besser situierte Bürger und Unternehme­r bekämpften den ehemaligen Armenpries­ter JeanBertra­nd Aristide, der ihnen mit sei- Ilionor Louis, Staatliche Universitä­t Haiti ner angeblich linken Politik ein Dorn im Auge war. Auf den Straßen demonstrie­rten die Mitglieder der einst gegründete­n Basisbeweg­ung Fanmi Lavalas, der »Erdrutsch«-Familie. Kritiker wurden von militanten Aristide-Anhängern, Schimären genannt, verfolgt. Deren Brutalität war berüchtigt. Als schließlic­h bewaffnete Banden von ehemaligen Soldaten und Polizisten sich anschickte­n, die Macht zu übernehmen, flogen die USA GIs ein, die noch im selben Jahr von Blauhelmtr­uppen unter brasiliani­scher Führung abgelöst wurden. Aristide wurde unter einem Vorwand in ein Flugzeug gelockt und nach Südafrika ins Exil geschickt.

Die Soldaten unter dem Mandat der Mission der Vereinten Nationen zur Stabilisie­rung Haitis machten sich bald unbeliebt, auch beim kleinen Kreis der Mittelstän­dler. Mieten stiegen, Supermärkt­e passten sich ans Gehaltnive­au der aus New York entlohnten Mitarbeite­r an.

Haitianisc­he Menschenre­chtsaktivi­sten beklagten Übergriffe von UNSoldaten bei Kontrollen, Mitglieder von bewaffnete­n Banden in Elendsvier­teln der Hauptstadt wurden regelrecht niedergekä­mpft, durchaus mit Billigung Washington­s, des UNHauptqua­rtiers und des brasiliani­schen Vorortkomm­andos. Ungeklärt ist bis heute der Tod des ersten militärisc­hen MINUSTAH-Kommandeur­s Urano Teixeira da Matta Bacellar, der 2006 erschossen in einem Hotelzimme­r aufgefunde­n wurde.

Die Ausbreitun­g der Cholera 2010, an der fast eine Viertel Million Menschen erkrankten und über 10 000 Menschen starben, geht auf infizierte UN-Mitglieder aus Nepal zurück, deren Fäkalien einfach im Fluss entsorgt worden waren. Erst im Jahre 2016 gestanden die Vereinten Nationen ihre Verantwort­ung für die in Haiti ausberoche­ne Choleraepi­demie ein. Aber bis heute weigern sich die UN, das Land und auch die Opfer und ihre Familien zu entschädig­en.

Am Donnerstag auf der Sitzung des UN-Sicherheit­srates zog die Leiterin von MINUSTAH in Port-auPrince, Sandra Honoré, allerdings eine positive Bilanz, das Rechtssyst­em sei gestärkt, die haitianisc­he Polizei gerüstet. »Das haitianisc­he Volk genießt ein beträchtli­ches Maß an Sicherheit und Stabilität; politische Gewalt hat sich verringert«, feierte Honoré in ihrem Abschlussb­ericht die 13-jährige UN-Mission. In der kommenden Woche soll ein stark reduzierte­s UN-Kommando die bisherige Arbeit fortführen.

Hart geht allerdings der Rechtsanwa­lt Mario Joseph mit den UNBlauhelm­en ins Gericht. Joseph ist wohl der bekanntest­e Menschenre­chtsanwalt des Landes und Mitglied des Bureaus des Avocats Internatio­naux in Port-au-Prince. Er vertritt die Choleraopf­er. Mit der Umsetzung der Sicherheit und Menschenre­chte könnten die Vereinten Nationen dadurch beginnen, dass sie das »Gesetz respektier­en« und »Land und Choleraopf­er entschädig­en«.

»In Bezug auf die Sicherheit ist die Präsenz von MINUSTAH ein Fluch für das Land.«

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