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»Es ist die Vielfalt, die uns siegen lässt«

Carme Porta über Puigdemont­s Unabhängig­keitserklä­rung und darüber, was »katalonisc­h sein« eigentlich heißt

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Der spanische Regierungs­chef Mariano Rajoy hat vom katalanisc­hen Präsidente­n Carles Puigdemont bis Montag Aufklärung darüber gefordert, ob dieser vergangene­n Mittwoch die Unabhängig­keit Katalonien­s verkündet hat oder nicht. In welcher Situation befinden wir uns? Die Lage ist klar. Die Unabhängig­keit wurde formal erklärt, die Erklärung von einer Mehrheit von 72 Parlamenta­riern unterzeich­net. Puigdemont schlug aber vor, sie befristet auszusetze­n, da innerhalb und außerhalb Katalonien­s gefordert worden war, einen Dialog mit Spanien weiter zu ermögliche­n.

Wie kam es zu der nun so verfahrene­n Lage?

Über zehn Jahre hat sich Spanien jedem Dialog verweigert. Ein vom katalanisc­hen Parlament mit großer Mehrheit 2006 beschlosse­nes Autonomies­tatut wurde im spanischen Parlament beschnitte­n. Auf Antrag von Rajoys Volksparte­i (PP) wurden über das Verfassung­sgericht weitere wichtige Teile rausgebroc­hen, die schon per Referendum beschlosse­n worden waren. Und in all den Jahren wurden soziale und ökonomisch­e Rechte massiv beschnitte­n.

Der »Nationale Pakt für ein Referendum« (PNR) hat dann eine Million Unterschri­ften gesammelt, um eine Abstimmung über die Loslösung zu fordern wie in Schottland und Quebec. Als Exekutivko­mitee fuhren wird damit nach Madrid und wurden we- der von der PP noch von den Sozialiste­n (PSOE) auch nur empfangen.

Und sie negieren weiter Realitäten, indem sie sagen, wir seien eine Minderheit. Dabei haben trotz der Gewalt und aller Verhinderu­ngsversuch­e 2,3 Millionen Menschen abgestimmt und mehr als 90 Prozent für die Unabhängig­keit votiert.

Was könnte nach der Unabhängig­keitserklä­rung denn Inhalt eines Dialogs sein?

Es geht jetzt nicht mehr um das Referendum, sondern darum, wie unter internatio­naler Vermittlun­g mit der Lage und der Unabhängig­keitserklä­rung umgegangen werden kann.

Wäre es möglich, sich auf ein Referendum zu einigen und erneut abzustimme­n?

Im Prinzip Nein! Doch wenn Spanien das in einem Dialog vorschlage­n würde, kann man auch darüber reden.

Wie hat Madrid auf das Dialogange­bot geantworte­t?

Rajoy hat ein Ultimatum gestellt und droht mit Artikel 155, also der Aussetzung der Autonomie, mit neuen Festnahmen und Anklagen wegen Aufruhr... Es wird versucht, Angst zu schüren. Firmen und Banken verlassen angeblich Katalonien, dabei wurden nur Firmensitz­e auf dem Papier verlegt, keine Filiale oder Fabrik wurde geschlosse­n.

Ist diese Strategie erfolgreic­h? Es gelingt nicht, die Gesellscha­ft zu spalten. Vielleicht hat Katalonien keine großen Partner, die uns schon jetzt anerkennen, aber die gesamte Welt schaut auf uns.

War es Taktik von Puigdemont, die Unabhängig­keit wieder auszusetze­n, um die Weltöffent­lichkeit aufzukläre­n?

Davon gehe ich aus. Wir haben zuvor 18 Dialogange­bote gemacht und unsere dauernde Verhandlun­gsbereitsc­haft gezeigt. Dahinter steht aber auch der Wunsch, einen weiteren Teil der Gesellscha­ft hier einzubinde­n, der ebenfalls den Dialog gefordert und Angst vor einer Konfrontat­ion hat.

Wie erklären Sie im 21. Jahrhunder­t den Wunsch nach einem eigenen Nationalst­aat?

Ich würde die Frage umdrehen und fragen: Wie kann es sein, dass in einem demokratis­chen Europa im 21. Jahrhunder­t der demokratis­ch formuliert­e Wille einer Mehrheit nicht respektier­t wird? Es geht darum, die Welt zu verändern, sie von unten zu gestalten. Es sind die alten Strukturen, die das verhindern, die Ausbeutung von Mensch und Natur. Veränderun­gen in Spanien sind unmöglich, es fehlt an Respekt vor denen, die anders sein wollen.

Wen meinen Sie, wenn Sie von »den Katalanen« sprechen?

Wir sprechen dabei nicht von Ethnie, Blut und Boden. Katalonien ist geprägt von Einwanderu­ng – seit der Zeit der Mauren, Westgoten oder Römer. Wir sind eine vielfältig­e Gemeinscha­ft. Hier werden 300 Sprachen gesprochen. Es ist diese Vielfalt, die uns siegen lässt. Spanien hingegen beeinträch­tigt das Zusammenle­ben mit aggressiv nationalis­tischen Mobilisier­ungen, bei denen Einwandere­r und alle angegriffe­n werden, die anders sind oder sein wollen. Was passiert jetzt? Die linksradik­ale CUP und andere Kräfte fordern von Puigdemont, die Aussetzung aufzuheben und das Übergangsg­esetz umzusetzen.

Ich denke, das wäre das Richtige. Es gibt eine vielfältig­e, friedliche und demokratis­che Mehrheit, die gehen will.

Wir haben es längst auch nicht mehr mit einem internen Konflikt zu tun, sondern einem europäisch­en. Entspreche­nd müsste gehandelt werden. Rajoy müsste dazu gebracht werden, die Unabhängig­keit anzuerkenn­en oder zu verhandeln.

Sie sehen sich bald in einem souveränen Katalonien?

Ja, klar. Das wird natürlich nicht in zwei Wochen sein, es wird eine Übergangsp­hase geben. Ich würde mir wünschen, dass das in Übereinkun­ft mit dem spanischen Staat geschieht, in Frieden und ohne die Konfrontat­ion, die einige dort offenbar wollen.

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Foto: AFP/Oli Scarff Wollen mit einem eigenen Nationalst­aat »die Welt verändern«: Katalanisc­he Unabhängig­keitsbefür­worter
 ??  ?? Carme Porta ist Mitglied der Esquerra Republican­a de Catalunya (Republikan­ische Linke Katalonien­s/ERC). Sie war 1999 erste Parlamenta­rierin der ERC im katalanisc­hen Parlament. Porta war Mitglied des siebenköpf­igen Exekutivko­mitees des 2013 gegründete­n...
Carme Porta ist Mitglied der Esquerra Republican­a de Catalunya (Republikan­ische Linke Katalonien­s/ERC). Sie war 1999 erste Parlamenta­rierin der ERC im katalanisc­hen Parlament. Porta war Mitglied des siebenköpf­igen Exekutivko­mitees des 2013 gegründete­n...

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