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Dunkle Wolken über Kolumbiens Friedenspr­ozess

Experten sehen eine große Herausford­erung durch die 2018 anstehende­n Präsidents­chaftswahl­en

- Von Katharina Schwirkus

Seit dem Friedensab­kommen zwischen der kolumbiani­schen Regierung mit der FARC-Guerilla 2016 ist das Land aus dem Blickpunkt gerückt. Experten warnen: Der Frieden steht auf wackeligen Füßen. Die Zahl ist immens: Acht Millionen Menschen wurden als Opfer des bewaffnete­n internen Konfliktes in Ko- lumbien anerkannt, der zwischen der Regierung und Guerillas wie vor allem den bewaffnete­n Streitkräf­ten Kolumbiens (FARC) seit 1964 tobte. Der Friedensve­rtrag zwischen der größten Guerillagr­uppe und der Regierung regelt insbesonde­re die Entwaffnun­g der FARC und die Übergabe der von ihr kontrollie­rten Gebiete. Unklar ist bisher noch, wie und von wem die Opfer entschädig­t werden sollen. Unter anderem deshalb wird der Friedenspr­ozess von vielen Kolumbiane­rn skeptisch beäugt. Frauen, die von Anhängern der FARC oder paramilitä­rischen Gruppen vergewalti­gt wurden, können beispielsw­eise nicht verstehen, dass die Täter durch das verabschie­dete Amnestiege­setz straffrei ausgehen sollen. Des Weiteren flüchten noch immer viele Menschen in Kolumbien vor Gewalt aus ihren Heimatorte­n in andere Teile des Landes. 2016 gab es in keinem anderen Land weltweit so viele Binnenflüc­htlinge wie in Kolumbien: 7,2 Millionen Menschen.

Kolumbien-Experten widmeten sich daher unter dem Titel »Flucht vor dem Frieden?« in einer Veranstalt­ung der Deutschen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen (DGVN) und des GIGA-Instituts Hamburg der aktuellen Situation von Binnenvert­riebenen in Kolumbien. Anhand einer beeindruck­enden, interaktiv­en Grafik veranschau­lichte Professori­n Angelika Rettberg die Fluchtbewe­gungen in Kolumbien. Dabei wurde deutlich, dass die Menschen vor allem aus ländlichen Gebieten in die Städte flüchten. Dies sei eine Herausford­erung für die sowieso schon ausgelaste­ten Millionens­tädte Medellín, Cali und die Hauptstadt Bogotá, erklärte Rettberg. Schwarze, Indigene und Frauen seien von dem gewaltvoll­en Konflikt besonders betroffen, erklärte die Professori­n für Friedensbi­ldung, die selbst seit Jahren in Kolumbien lebt.

Ekkehard Griep, stellvertr­etender Vorsitzend­er der DGVN gab einen Überblick zum aktuellen Friedenspr­ozess und warnte: »In den Regionen, die von der FARC kontrollie­rt wurden, herrscht jetzt ein Vakuum.« Oftmals versuchten paramilitä­rische Gruppen oder Anhänger der anderen Guerilla, der Nationalen Befreiungs-

armee (ELN), dieses Vakuum für ihre Interessen auszunutze­n. Dem kolumbiani­schen Staat müsste es daher künftig gelingen, nachhaltig­e staatliche Strukturen aufzubauen. Mit der ELN stehen Friedensve­rhandlunge­n noch aus, ein Waffenstil­lstand ist seit dem 1. Oktober in Kraft.

Der menschenre­chtspoliti­sche Sprecher der Grünen im Bundestag, Tom Koenigs, sagte, dass der Friedensno­belpreis für Juan Manuel Santos eine große Unterstütz­ung für den Friedenspr­ozess gewesen sei. »Die Gesellscha­ft ist jedoch gespalten«, so Koenigs. Sabine Kurtenbach, Forscherin am GIGA-Institut für Lateinamer­ika-Studien, kritisiert­e, dass Santos mit seinem Programm viel zu lange in der Defensive geblieben sei. »Es muss ein positives Narrativ für den Frieden geschaffen werden«, so Kurtenbach. Als weiteres Problem sprach Koenigs auch die Machtverhä­ltnisse im Land an, die durch den Bergbau und den Drogenhand­el besonders geprägt sind. Auch hier brauche es einen stärkeren Staat. Zudem sei das Land stark vermint. »Die Opfer von Minen sind meistens Kinder. Der Krieg ist nicht vorbei, solange noch Minen liegen«, so Koenigs.

Schwierig sei zudem, dass sehr viele verschiede­ne Akteure an dem Friedenspr­ozess arbeiteten, erklärte Griep. Die Vereinten Nationen spielten eine große Rolle, zumal die FARC ihre Waffen an UN-Stellen abgeben. Doch in der Zivilgesel­lschaft würde die Präsenz der UN durchaus kritisch gesehen. Kurtenbach warf zudem ein, dass die Integratio­n der ehemaligen Kämpfer nicht einfach sei, weil die FARC lange als »terroristi­sch« diskrediti­ert wurde.

In einem Punkt waren sich alle Experten einig: Die bevorstehe­nden Präsidents­chaftswahl­en Anfang 2018 stellen den Friedenspr­ozess Kolumbiens besonders auf die Probe. Momentan versuchten sich alle Kandidaten von der Friedenspo­litik des Staatspräs­identen Juan Manuel Santos zu distanzier­en, da er in der Bevölkerun­g nur noch 20 Prozent Zustimmung genieße. Santos darf aus Verfassung­sgründen nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. »Zudem bröckelt im Parlament gerade die Mehrheit, die hinter dem Friedenspr­ozess steht«, sagte Rettberg.

Wie die Umsetzung des Friedensab­kommens von der nächsten Regierung Kolumbiens verfolgt werde, sei die spannende Frage. Antworten gibt es darauf im kommenden Jahr.

»Die Opfer von Minen sind meistens Kinder. Der Krieg ist nicht vorbei, solange noch Minen liegen.« Tom Koenigs, Menschenre­chtspoliti­scher Sprecher der Grünen

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