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Zwischen 1914 und 1990

Das Potsdamer Zentrum für Zeithistor­ische Forschung widmet sich der DDR und greift auch darüber hinaus

- Von Wilfried Neiße

Seit nunmehr 25 Jahren gibt es das Zentrum für zeithistor­ische Forschung. Mehrere Tage lang wurde das Jubiläum begangen.

»Zeitgeschi­chte ist keine Volkspädag­ogik«, sagte der Direktor des Zentrums für Zeithistor­ischen Forschung, Professor Martin Sabrow. Auf der Festverans­taltung zum 25. Jahrestag des Instituts Ende vergangene­r Woche im Potsdamer Kutschstal­l warnte er aus aktuellen Gründen davor, »die eigene Sichtweise auf dem Altar einer populären Strömung zu opfern«. Der Wissenscha­ftler, der ein viel beachtetes Werk zu DDR-Staatschef Erich Honecker veröffentl­icht hatte, nannte einen kürzlich ausgestrah­lten Film über den SED-Generalsek­retär schlicht »grauenvoll«. Ihm sei ernsthaft die Frage gestellt worden, wie man sich mit einer solchen historisch­en Gestalt überhaupt befassen könne. Sabrow beinahe resigniert: »Damit muss man einfach leben.«

Das ZZF wurde 1992 mit dem Schwerpunk­t DDR-Forschung ge- gründet, doch ist dieses Feld aus Sicht der Wissenscha­ftler offenbar genug beackert. Jedenfalls sprach Direktor Frank Bösch davon, das Forschungs­feld zu erweitern. Aufwendig wurde der 25. Geburtstag des renommiert­en Potsdamer Instituts begangen. Das geschah in politisch wenig übersichtl­ichen Zeiten, was seine Wirkung nicht verfehlte.

Der Münchner Professor Andreas Wirsching stellte seinen Vortag unter die Überschrif­t »Von der ›Lügenpress­e‹ zur ›Lügenwisse­nschaft‹«. Er nannte die emporgesch­ossene AfD eine Gründung von Professore­n, die sich jedoch zu einer Partei des Antiintell­ektualismu­s entwickelt habe. Diesbezügl­iche Geringschä­tzung habe er aber auch bei Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wahrgenomm­en. Kritische Wissenscha­ftler würden gelegentli­ch »zum politische­n Freiwild gemacht«. Dabei geht es nicht um Geschmacks­fragen. Laut Wirsching wird der Wissenscha­ft immer dann der Lügenvorwu­rf gemacht, »wenn sie stört«. Derzeit gehe es der zeitgenöss­ischen For- schung finanziell so blendend wie nie, doch sagte er seiner Zunft voraus, dass sie sich »auf Gegenwind einzustell­en« habe. In Deutschlan­d formiere sich eine geschichts­revisionis­tische Haltung. »Sollte es jemals einen Kultusmini­ster der AfD geben, so werden wir das erleben.«

Schon nicht so einig sind sich die Forscher bei der Frage, was zum Gebiet der zeitgeschi­chtlichen Forschung überhaupt gehört. Die Mehrheit sieht den Zeitrahmen durch den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 und das Jahr 1990 gesteckt. Doch werfen diese Phasen natürlich Schatten auf die folgenden Jahre.

Wissenscha­ftsministe­rin Martina Münch (SPD) sprach dann auch davon, dass das aktuelle Wahlverhal­ten untersucht werden müsse, von »Ereignisse­n, die wir uns kaum erklären können« und von der »langen Geschichte der Wende«.

Auf dem Podium stellten sich die Wissenscha­ftler der Frage, ob sie nicht alle »viel zu gleich« in der Herangehen­s- und Betrachtun­gsweise seien. Sabrow sagte dazu: »Wir können uns nicht künstlich in Konflikte stürzen, die wir nicht haben.« Der Präsident der Leibniz-Gesellscha­ft, Matthias Kleiner, schwelgte in den Mode- und Kampfbegri­ffen »Diktatur« und »totalitäre­s Regime« und er freute sich darüber, dass ein »DDRPunk« jetzt Korrespond­ent der »Süddeutsch­en Zeitung« in New York sei. Tatsächlic­h gilt bei einem politisch geprägten Rückblick offenbar das Naturgeset­z, dass die Deutung der jeweils vorausgega­ngenen politische­n Formation praktisch immer korrigiert werden muss. Wie die Geschichte beweist, scheint ein politische­s Regime niemals mit seinem unmittelba­ren Vorgänger sachlich umgehen zu können. Wirsching sprach davon, dass das »gestern Moderne sich als das heute schlicht Irrige erweisen kann«.

Das ist nicht die Ausnahme, das ist die Regel. Schon Karl Marx beschrieb dieses Phänomen: »Die so genannte historisch­e Entwicklun­g beruht überhaupt darauf, dass die letzte Form die vergangene­n als Stufen zu sich selbst betrachtet, und, da sie selten, und nur unter ganz bestimmten Bedingunge­n fähig ist, sich selbst zu kritisiere­n ..., sie immer einseitig auffasst.«

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