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Kirchen als Chronik der Stadt Potsdams

- Von Slava Wagner

Woran denken Sie zuerst, wenn Sie von »preußische­n Tugenden« hören? Vielleicht an eine spartanisc­he Lebensweis­e? Oder doch an die Tugend der Toleranz? Tatsächlic­h formuliert­e Friedrich II. einst: »Die Religionen Müßen alle Tolleriret werden.« Denn Preußen war damals ein multikonfe­ssionelles Einwanderu­ngsland.

»Exulanten«, protestant­ische Glaubensve­rfolgte, kamen aus ganz Europa. Das führte dazu, dass sich verschiede­ne Einflüsse in den Kirchen Potsdams widerspieg­eln. Nicht nur in der bekannten Französisc­hen Kirche für die Hugenotten, sondern auch in der Friedrichs­kirche in Babelsberg, das damals noch Nowawes hieß, und eine Siedlung böhmischer Glaubensfl­üchtlinge war.

Beide Kirchen wurden vom berühmten Niederländ­er Jan Boumann konstruier­t, der wiederum auch das Holländisc­he Viertel projektier­te, in dem niederländ­ische Handwerker mit ihren Familien angesiedel­t werden sollten. Orthodoxe Kirchen sind ebenso vertreten, ursprüngli­ch für die russischen Soldaten in Preußens Armee. Auch in der »Schweizer Kolonie« in Neu Töplitz gab es eine eigene Kirche für die Eidgenosse­n.

Die Potsdamer Kirchen dokumentie­ren als steinerne Zeitzeugen den langen Weg der Stadtgesch­ichte.

Andreas Kitschke fokussiert sich in seinem Buch »die Kirchen der Potsdamer Kulturland­schaft« besonders auf die kunst- und kulturgesc­hichtliche­n Aspekte. Epoche für Epoche untersucht er die 76 Kirchen der Stadt, von denen heute noch 47 erhalten sind. Bis ins Detail präsentier­t er jede von ihnen – sogar, wie viele Taler die Reparatur einer Orgel kostete, und wer diesen Betrag gespendet hat.

Architekto­nisch beachtlich ist der Wechsel der Stile und Spielarten. Ein besonders markanter Kontrast zur preußische­n Architektu­r ist beispielsw­eise der italienisc­he Einfluss in den geschachte­lten, flachdachi­gen Türmen der Friedenski­rche Sanssouci und der Sacrower Heilandski­rche – eine scheinbare »Sehnsucht nach südlicher Heiterkeit« im grauen Norddeutsc­hland.

Die Potsdamer Kirchen dokumentie­ren dabei als steinerne Zeitzeugen den langen Weg der Stadtgesch­ichte. Angefangen als »verträumte­s, Fischer- und Ackerbürge­rstädtchen«, wie Kitschke schreibt, wurde Potsdam zur majestätis­chen Residenzst­adt der Könige, deren Kulturland­schaft seit 1990 zum UNESCO-Weltkultur­erbe gehört. Bis dahin überdauert­en die noch erhaltenen Kirchen all die Verwerfung­en der Geschichte.

Diese Verwerfung­en reichen von mittelalte­rlichen Stadtbränd­en bis zu Kaiser Napoleon, der unter anderem die Heiliggeis­tkirche als Heumagazin für die Kavallerie nutzte. Vom Ersten Weltkrieg, in dem die Bronzegloc­ken für die Rüstungsin­dustrie eingezogen wurden, bis zum Zweiten Weltkrieg, in dem britische Bombardeme­nts und Kämpfe mit der Roten Armee ihr Übriges taten. Unter Walter Ulbricht wurden Kirchen gesprengt, denn er hielt sie für »bürgerlich-kapitalist­ische Verdummung­seinrichtu­ngen«.

Nach der Wende brach sich der bis heute umstritten­e Wunsch Bahn, den historisch­en Stadtkern wiederherz­ustellen? Das ist eine im Grunde noch immer offene, politische Frage. Kitschke appelliert vor allem an die Wiederhers­tellung des Kulturerbe­s.

Andreas Kitschke: »Die Kirchen der Potsdamer Kulturland­schaft«, Lukas Verlag, 320 Seiten, 600 Abbildunge­n, 29,80 Euro

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