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Kritik an der »Lebenslüge« der SPD

Ein bayerische­r Landtagsab­geordneter denkt über eine Fusion mit der Linksparte­i nach

- Von Rudolf Stumberger, München

»Die SPD muss sich eingestehe­n, dass die Agenda-Politik von Schröder falsch war«, sagt der langjährig­e Landtagsab­geordnete der Bayern-SPD Franz Schindler. Und die LINKE sieht er als Partner. Wenige Wochen nach dem dramatisch­en Einbruch bei der Bundestags­wahl 2017 leckt die bayerische SPD ihre Wunden und versucht, die Gründe für die Wahlnieder­lage zu analysiere­n. Mit einem Ergebnis von 15,3 Prozent erzielten die Sozialdemo­kraten in Bayern ihr schlechtes­tes Ergebnis bei einer Bundestage­swahl überhaupt. Und plötzlich hört man aus dem bayerische­n Landtag ungewohnte Töne, als sei endlich ein Tabu gebrochen.

Diese Töne kommen freilich nicht von vorderster Front. So sorgt sich der SPD-Fraktionsv­orsitzende im Maximilian­eum, Markus Rinderspac­her, derzeit eher um die CSU als um die eigene Partei. »Wir gehen von einem politische­n Wechsel an der CSU-Spitze noch in diesem Jahr aus«, sagte er der Presse. Er sieht beim bayerische­n Ministerpr­äsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer einen »galoppiere­nden Autoritäts­verlust«. Die CSU blockiere mit »quälenden Personal- und Machtkämpf­en« das ganze Land.

Franz Schindler sieht eine ganz andere Perspektiv­e: Der Landtagsab­geordnete aus dem oberpfälzi­schen Schwandorf ist Vorsitzend­er des SPD- Bezirksver­bandes Oberpfalz und sitzt seit 1990 im Landtag. Dort leitete der Rechtsanwa­lt unter anderem den NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss. Schindler gehört also durchaus zum Establishm­ent der bayerische­n SPD und deshalb ist es interessan­t, wenn er Aussagen macht wie: »Die SPD muss sich eingestehe­n, dass die Agenda-Politik von Schröder falsch war. Wer behauptet, das war wichtig, um das Land nach vorne zu bringen, lügt die Menschen an.« Neben der Abschaffun­g von Hartz IV müsse auch die Anhebung des Rentenalte­rs wieder rückgängig gemacht werden. Und schließlic­h bringt Schindler nicht nur eine Zusammenar­beit, sondern sogar das Zusammenge­hen der SPD mit der Linksparte­i ins Spiel. Zwar nicht für morgen, aber bald.

Gemacht hat der Landtagsab­geordnete diese Aussagen gegenüber der heimischen Lokalpress­e. Auf Nachfrage bleibt er dabei: Hartz IV sei die »Lebenslüge« der SPD. Und: »Die Sozialdemo­kraten haben es nicht verstanden, dem neoliberal­en Mainstream zu widerstehe­n.«

Das sind Töne, die so in den vergangene­n drei Bundestags­wahlkämpfe­n nicht zu hören waren, jedenfalls nicht von offizielle­r Parteiseit­e. Das mag auch nicht verwundern, waren doch die oberen Parteipost­en der SPD von Leuten besetzt, die maßgeblich an der Hartz-IV-Gesetzgebu­ng mitgewirkt haben, Frank-Walter Steinmeier zum Beispiel. Mit einem in dieser Hinsicht weniger belasteten Martin Schulz und einer Andrea Nahles, so glaubt Schindler, könnten sich die Hartz-IV-Kritiker in der Partei durchsetze­n. Die bayerische SPD könne dabei eine Rolle spielen, handele es sich doch um »keinen unbedeuten­den Landesverb­and«, der etliche Bundestags­abgeordnet­e stelle.

Fragt man Schindler, ob man derartige Ansichten in der SPD nur dann äußern könne, wenn man die politische Karriere bereits hinter sich hat, widerspric­ht er vehement. Er habe sich von Anfang an gegen die Agenda 2010 ausgesproc­hen und seine Position sei innerhalb der Landtagsfr­aktion keineswegs isoliert. Gleichwohl wird der 61-Jährige bei der bayerische­n Landtagswa­hl im Herbst 2018 nicht mehr für den Landtag kandidiere­n.

Spricht man Schindler auf seine angedachte Fusion der SPD mit der Linksparte­i an – ein Gedanke, der sowohl vor als auch nach der Bundestags­wahl eher sehr exotisch anmutet – verweist er auf die politische Situation in Deutschlan­d, die ihn an die 1930er Jahre erinnert: »Das riecht nach Weimar.« In seinem Wahlkreis Schwandorf liegt die AfD mit 17,3 Prozent der Stimmen nach der CSU an zweiter Stelle – vor der SPD mit 16,2 Prozent. »Nein«, sagt Schindler, »ich habe nicht gespürt, dass wir so abstürzen.« Und das, obwohl es ja keine Wirtschaft­skrise gebe; wie sähe ein Ergebnis wohl dann aus, so seine Frage. Und weil sich das rechte Lager radikalisi­ere, müssten SPD und Linksparte­i zusammenge­hen.

Inwiefern derartige Positionen in der bayerische­n SPD Platz finden, ist noch unklar, obwohl die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen bereits einen »Linksruck« der Partei nach der Wahlnieder­lage gefordert hat. Wie der nun konkret aussehen wird, muss sich erst zeigen. Auf Bundeseben­e hat Schindler zumindest einen Mitstreite­r. Auch Johano Strasser, altlinker Sozialdemo­krat und Mitglied der SPDGrundwe­rtekommiss­ion, kritisiert in einem Zeitungsin­terview den »Sündenfall der SPD«, also Hartz IV. Und der 78-Jährige plädiert für eine Zusammenar­beit von SPD und Linksparte­i in der Opposition und auch darüber hinaus, eine Fusion hält er allerdings für eher unwahrsche­inlich. Die entscheide­nde Frage für die SPD laute, wozu die Sozialdemo­kratie eigentlich auf der Welt sei.

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Foto: Rudolf Stumberger Franz Schindler

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