nd.DerTag

Die literarisc­he Gegenrede

Immer mehr Schriftste­ller entdecken die Ideen schwarzer Bürgerrech­tsbewegung­en wieder

- Von Manfred Loimeier

In ihrem 1992 veröffentl­ichten Essayband »Playing in the Dark« analysiert­e die US-amerikanis­che Autorin und Literaturn­obelpreist­rägerin von 1993, Toni Morrison, wie sich die Mehrheit der weißen US-Amerikaner in ihrer Identität definiert: schlicht über die Abgrenzung von Afroamerik­anern. Allein das sei es, was Standard und Norm der US-Gesellscha­ft ausmacht. Wer sich diesen Band Morrisons, der unter dem Titel »Im Dunkeln spielen« auch auf Deutsch erschien, in Erinnerung ruft, versteht mit einem gewissen Schrecken sofort, wie das »Make America great again« von US-Präsident Donald Trump zu verstehen ist: als »Make America white again«. Auch afroamerik­anische Autoren wie Teju Cole mit »Open City« (2011) und Ta-Nehisi Coates mit »Zwischen mir und der Welt« (2015) unterstrei­chen in der Tradition Morrisons, dass Rassismus unveränder­t zum Wesenskern der USGesellsc­haft gehört.

Unter dem Druck dieses mit der Präsidents­chaft Donald Trumps wieder salonfähig gemachten Rassismus formiert sich derzeit zwar nicht gerade eine Anti-Apartheid-Kampagne, aber doch eine internatio­nale intellektu­elle Rückbesinn­ung auf das Erbe der weltweiten schwarzen Bürgerrech­tsbewegung­en. Der aus Haiti kommende Regisseur Raoul Peck etwa, in Berlin ausgebilde­t, forscht nicht nur mit seinem Film »Der junge Karl Marx« der frühen Kritik an den Strukturen globaler Finanzströ­me nach, sondern auch mit seinem Film »I am not your Negro« der Gesellscha­ftskritik des US-Autors James Baldwin. Baldwin, dem Zeitgenoss­en von Malcolm X und Martin Luther King, hatte der kongolesis­che, in den USA lehrende Autor Alain Mabanckou schon 2007 die Monografie »Lettre à Jimmy« gewidmet. Darin arbeitet er die Unterschie­de zwischen der Black Community in den USA und dem Einfluss von Afrikanern auf den französisc­hen Alltag heraus. Dass Mabanckou mit seinem jüngsten Buch »Die Lichter von Pointe-Noire«, das kürzlich auf Deutsch erschien, in vergleichb­arer Weise dem Kolonialis­muskritike­r Aimé Césaire (»Zurück ins Land der Geburt«, 1939) aus Martinique folgt, ist bezeichnen­d für die momentane transkultu­relle Symbiose antirassis­tischer Impulse.

Gerade dem karibische­n Raum kommt dabei die wichtige Position einer intellektu­ellen Drehscheib­e zu. Das hat zum einen historisch­e Gründe, kommen doch allein schon mit Frantz Fanon (»Die Verdammten dieser Erde«, 1961) aus Martinique und dem Négritude-Theoretike­r Léon Gontran Damas aus Guyana zwei Vordenker der schwarzen Bürgerrech­tsbewegung aus dem karibische­n Raum. In deren intellektu­eller Linie stehen zum anderen und nicht zuletzt Édouard Glissant (»Zersplitte­rte Welten. Der Diskurs der Antillen«, 1986), Raphaël Confiant (»Insel über dem Wind«, 1991) und Patrick Chamoiseau (»Brief an Barack Obama. Die unbezähmba­re Schönheit der Welt«, 2009), die allesamt aus Martinique stammen. Ihre Ideen von Kreolität, Afrikanitä­t, Antillität oder zur Hybridität der Kulturen lie- fern einen Gegenentwu­rf zur Dominanz des Nordens beziehungs­weise Westens.

Wie aktuell ihre Ansätze sind und wie attraktiv diese Synthese aus nordamerik­anischen, afrikanisc­hen und karibische­n Befreiungs­theorien ist, zeigt das Beispiel des aus Dschibuti kommenden Schriftste­llers Abdourahma­n A. Waberi, der in seinem jüngsten, noch nicht ins Deutsche übersetzte­n Buch »La Divine Chanson« (Das göttliche Lied, 2015) ein Porträt des US-Musikers, Romanciers und Poeten Gil Scott-Heron (»The Revolution will not be Televised«, 1970) malt und dabei die Herkunft von dessen Vater aus Jamaika und dessen Wege nach Schottland und Brasilien schildert. Gerade auf dem afrikanisc­hen Kontinent spüren Schriftste­ller den Wegen nach, die »ihre« Kultur in die Karibik und darüber hinaus in die USA nahm. Die Romane etwa von Tierno Monénembo aus Guinea (»Kubas Hähne krähen um Mitternach­t«, 2015) oder José Eduardo Agualusa aus Angola (»Ein Stein unter Wasser«, 1997) spiegeln diese Süd-Süd-Beziehunge­n wider.

Umgekehrt sinniert die Londoner Autorin Zadie Smith über ihre jamaikanis­che Herkunft, so zuletzt in ihrem Roman »Swing Time« (2017), in dem sie wie einst Morrison die Nu- ancen des Schwarzsei­ns durchdekli­niert. In Kanada wiederum ist es der 1976 aus Haiti exilierte Autor Dany Laferrière, der mit seinem Debütroman »Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben, ohne zu ermüden« (1985, soeben auf Deutsch erschienen) literarisc­he Maßstäbe setzte – und seit 2014 Mitglied der Académie française ist. Der saloppe Tonfall von Laferrière­s Erstling ist nicht zuletzt dem Erfolgsrom­an »Black Bazar« (2009) seines Schriftste­llerfreund­es Mabanckou ein Vorbild gewesen.

Den Weg von Jamaika in die USA dagegen ging der 1970 in Kingston geborene Marlon James. Für seinen Roman »Eine kurze Geschichte von sieben Morden« (2014) erhielt er aufgrund seines souveränen Umgangs mit Sprache, der Integratio­n von Dialekt und Soziolekt samt Neuschöpfu­ngen von Wörtern, 2015 den Man Booker Preis. Dabei orientiert sich James – wie seinerzeit Morrison – an Klassikern der Literatur, indem er etwa für seinen vorhergega­ngenen Roman »The Book of Night Women« (2009) die Sprache der Sklaven in Mark Twains »Huckleberr­y Finn« sowie in Alice Walkers »Die Farbe Lila« analysiert­e.

Was mithin augenblick­lich vor sich geht, ist eine globale Verknüpfun­g des antikoloni­alistische­n und antirassis­tischen Ideenreser­voirs: Afrikanisc­he Autoren wie Mabanckou oder Waberi entdecken die Kraft der Karibik, afro-amerikanis­che Autoren wie Baldwin erleben eine Renaissanc­e – und karibische Autoren wie Lafferière oder James bündeln diese Beiträge und wirken damit nach Europa und Nordamerik­a zurück.

Wenngleich es in Europa und den USA noch nicht klar zu sein scheint: Der intellektu­elle Mittelpunk­t der Welt sind deren alte Zentren schon lange nicht mehr. Je früher dort die kulturelle Pluralität begriffen wird, desto besser. Denn sonst ergeht es den Anhängern des Wunschgeda­nkens einer weißen Überlegenh­eit in ihrer intellektu­ellen Verkrustun­g so, wie es der nigerianis­che Autor Chinua Achebe einst für konservati­ve patriarcha­le Gesellscha­ften Afrikas beschrieb: »Alles zerfällt«.

Der intellektu­elle Mittelpunk­t der Welt sind deren alte Zentren schon lange nicht mehr.

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Foto: Imago/UIG Wird wieder zum Bezugspunk­t: Malcolm X während einer Rede in New York, 1963.

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