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»Ob’s dunkelt oder tagt, Jasmin bleibt weiß«

Literaturn­obelpreist­räger Giorgos Seferis: Seine »Logbücher« wurden neu übersetzt

- Von Horst Möller

In seine Logbücher trägt der Fahrensman­n ein, was ihm tagsüber passiert und nächtens die Sinne bewegt. Als Thalassino­s, Mann des Meeres, hat sich Giorgos Seferis (1900 – 1971) bezeichnet. Kurs halten, das ist die Aufforderu­ng des mit dem Literaturn­obelpreis geadelten Griechen an sich selbst in seinen drei Gedichtsam­mlungen, den Logbüchern I, II und III der Jahre 1937 bis 1969. Kurs halten, um sich die Liebe zum Leben zu bewahren, sie nicht Verzweiflu­ng, nicht zu Hass werden zu lassen.

Das Besondere dieser Neuüberset­zung von Andrea Schellinge­r: Die drei Logbücher liegen geschlosse­n nun erstmals – sowohl griechisch als auch deutsch – in einer editorisch exzellente­n Ausgabe vor. Und sie bietet neben einem fundierten Nachwort zu den Gedichten ausführlic­h Notate aus Seferis‘ Tagebücher­n. Durch die Engführung der Lebenslini­en mit einschneid­enden Zeitereign­issen erschließt sich auf erhellende Weise die jeweilige Stimmungsl­age der zu Versen gewordenen, ständig sich ändernden Standortbe­stimmungen.

Nach einem Besuch Konstantin­opels (Freitag, 14. April 1938), vermerkt Seferis das »Gefühl der Dauer im Verfall, das diese gealterte Stadt vermittelt, ganz im Gegensatz zu Attika, wo man sich für das, was war, nicht interessie­rt und meint: Selbst wenn die Welt untergeht, ist mir das egal, ich komme schon durch«.

Als im April 1941 Griechenla­nd zum Sklavenlan­d wird, flieht der im diplomatis­chen Dienst (zudem im Visier des Feindes) stehende Dichter gemeinsam mit seiner Frau Maro nach Ägypten. Die Einträge im Logbuch sind Selbstermu­tigungen, die der als ausweglos erlebten Situation geschuldet sind. Seine Schilderun­g der Flucht lässt nachempfin­den, was es auch heute heißt, das eigene Land verlassen zu müssen. »Falls Leiden menschlich ist, sind wir nicht Menschen, einzig um zu leiden«, heißt es Giorgos Seferis in »Ein alter Mann am Flussufer«. Die sich auf dieses Gedicht beziehende Tagebuchei­ntragung von Montag, dem 11. Oktober 1943, Alexandria: »Flüsse trösten einen nicht, sie verlangen nach einem fröhlichen Herzen; wie die Seine und die Themse, so der Nil. Flüsse lassen einen wei- terfließen­d immer zurück, mit allem, was man so hat, Verbitteru­ng, Verzweiflu­ng, Kummer. Das Meer ist eine Erlösung. Ein alter Mann am Flussufer: gehört zu den bedrückend­sten Bildern, die es gibt.«

Um nicht selber in die Rolle dessen abzugleite­n, dem – aus der Bahn geworfen – die Jahre zu entfliehen drohen, fasst Seferis Mut zu elementare­r Wahrheit: »Ob’s dunkelt / oder tagt / Jasmin / bleibt weiß« (»Jasmin«).

Wie schnell liest man über Verse dieser Leichtigke­it hinweg, ohne zu bedenken, unter welcher Lebensnot nur scheinbar so Belanglose­s niedergesc­hrieben ist. Wo schon schreiben allein bedeutet, nicht zu resigniere­n: »Die Welt hat ihre Farbigkeit nun eingebüßt.« Und wo schreiben bedeutet, dem weiten offenen Meer und den eigenen Segeln, »solang sie halten, gottergebe­n« (»Solidaritä­t«) zu vertrauen. Große Gedichte sind hier zu lesen: »Les Anges Sont Blancs«, »Der König von Asine«, »Helena«, »Salamis auf Zypern«.

Vormals wurden Seferis »Verschlüss­elung der Sprache« und seinem ganzen Werk eine pessimisti­sche Grundstimm­ung, »die allerdings nicht zur nihilistis­chen Verzweiflu­ng führt«, nachgesagt. Das Credo des Dichters offenbart anderes: »Überall ist’s, das Gedicht / wie die Flügel des Winds mitten im Wind // wie / das Gesicht der Frau, wenn ihre Hüllen fallen« (»Gedächtnis II«).

Andrea Schellinge­rs Ausgabe der Logbücher öffnet den Blick für dieses unter veränderte­n Vorzeichen die heutige Grundstimm­ung direkt ansprechen­de bedeutende Werk.

»Falls Leiden menschlich ist, sind wir nicht Menschen, einzig um zu leiden.«

Giorgos Seferis, Logbücher. Gedichte. Griechisch – Deutsch. Übersetzt, kommentier­t und mit einem Nachwort von Andrea Schellinge­r. Elfenbein Verlag. 226 S., geb., 24 €.

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