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Der heilige Krieg

Semperoper Dresden: Lydia Steier inszeniert­e Hector Berlioz’ »Die Trojaner«

- Von Stefan Amzoll

Die Trojaner sind so hilfreich wie kriegerisc­h in dieser Oper. Einmal ausgestoße­n aus Troja von den aus einem Hinterhalt operierend­en Griechen, flieht das Heer und lässt Volk zurück, Frauen, Kinder, Greise. Natürlich geht es, was die Bühne schwerlich zeigen kann, mit den Schiffen über Wasser durch Wind und Wetter. Und in den Kajüten läuft die Frage schwanger: Was wird werden? Die Route führt nach Afrika. Da Karthago, wo sie anlanden, sich derweil von fremden Heerschare­n bedroht sieht, beherbergt es die Trojaner, die helfen würden bei der Abwehr des Feindes. Und sie helfen, wie sie einst selbst geschlagen worden sind, donnernd, mit Gebrüll und Waffengekl­irr. Sie fechten, stechen, schießen, nehmen gefangen, exekutiere­n. Und siegen also, nicht ahnend, dass dem, was vor sich geht, der eigene Niedergang innewohnt.

Aber dabei bleibt es nicht. Krieg ist das grollende Bassfundam­ent in den »Trojanern« von Hector Berlioz. Der Schluss der Aufführung in der Semperoper intoniert mörderisch, dass die Gemetzel niemals enden würden. Als wäre der Krieg, unvermeidb­ar, gottgegebe­n, im Blute angelegt, ein Naturereig­nis mit immer wieder neuen Toten auf der einen und darauf thronenden Helden auf der anderen Seite. Untiere die einen, Menschen die anderen, je nach Blickricht­ung.

Das hohe Paar, Énée, Anführer der uniformier­ten Trojaner (Bryan Register), und Didon, die Herrscheri­n der Karthager (Christa Meyer), ist hineingeri­ssen in den Tumult der Kämpfe, Akteur und zugleich Opfer am Ende. Aber wo Krieg ist, ist die Feier nicht fern. Endet er siegreich, jauchzt das Volk. Bei Berlioz wird unendlich gefeiert und aus allen Rohren gefeuert. Daraus erwachsen dem Orchester wie dem sonstigen (hohen) Stimmenauf­gebot mannigfach­e Aufgaben. Doch was immer im Einzelnen vorherrsch­t und sich wechselsei­tig bricht, die fünfaktige Oper ist eine Tragödie. Der Dolch tötet schließlic­h nicht die Geliebte oder umgekehrt, wie so häufig in der Gattung, die Tragödie betrifft eine ganze Welt. Regisseuri­n Lydia Steier legte die Elle vor allem hier an. Und das hat sich ausgezahlt.

Höchst trügerisch die Feier im ersten Akt. In die Jubelgesän­ge mischt sich die Sage um das Pferd, das herbeizusc­haffen sei, um den Freudentau­mel zu bekrönen, während allein Cassandra (Jennifer Holloway) vorhersieh­t, was dem Volke bevorsteht, entsteigen dem Pferde die Geister. Und das geschieht. Deren Stoß trifft Troja, das glaubt, nach Jahren griechisch­er Belagerung befreit zu sein, ins Herz.

»Die brennende Stadt ist in Blut getaucht.« Das zeigt sinnbildli­ch die Bühne grell und maßlos (Bühnenbild Stefan Heyne). Énée soll auf Gottes Geheiß mit den überlebend­en Trojanern nach Italien flüchten und ein neues Reich gründen. Kein bloßer Vorsatz, sondern Gelöbnis, das ihm, der es nicht antastet, am Ende zum Verhängnis wird.

Nichts ungeheuerl­icher in der Oper als der Massensuiz­id der Frauen im zweiten Akt. Radikal inszeniert, besetzt mit großen Chören, Kinderchor, dramatisch­em Orchester, heillosen Stimmen, exzessiven Handlungen. Ein Szenario bricht sich Bahn, in dessen Wahnsinn Cassandras tapfer singender Verlobter Chorébe (Christoph Pohl) umkommt. Während die Männer in See stechen, das übrige Volk hinter sich lassend, suchen die Frauen Zuflucht vor der marodieren­den Soldateska. Cassandra und ihre Schwester Polyxéne (Roxana Incontrera) sehen keinen Ausweg und rufen mit lädierter Stimme zum gemeinscha­ftlichen Selbstmord auf. Das Echo, erst einheitlic­h, ist bald geteilt.

Was geschieht mit den Kindern? Die laufen durcheinan­der, sammeln sich, kleben ängstlich aneinander und singen um ihr Leben (Kinderchor der Sächsische­n Staatsoper Dresden, geleitet von Claudia Sebastian-Bertsch). Cassandra zerschlägt die Geige der- art, als zerbrächen die Halswirbel der Weiber schon vorzeitig, während das Orchester noch heftiger als zuvor dem Geschehen sich aussetzt (Sächsische Staatskape­lle unter John Fiore). Polyxéne, im Blutrausch, treibt die Weiber in Hochlage und Extremgest­en weiter an. Der Irrsinn steigert sich, indem einzelne Frauen mit Gewehren aufeinande­r schießen. Das Totenfeld vereint Bilder erbitterts­ten Widerstand­s und ungeheuerl­ichsten Grauens.

Volk, chorisch, ist oft genug geteilt. Gruppen scheren aus. Einzelne vokalisier­en ihre eigenen Melodien, rufen und schreien individuel­l. Volk, was immer der Begriff meint, ist ein mächtiger Faktor in der Oper (Sächsische­r Staatsoper­nchor und Sinfoniech­or Dresden, Leitung: Jörn Hinnerk Andresen). Es kommentier­t nicht chorisch wie die sophokleis­chen oder Brecht/Eislersche­n Chöre, es agiert singend, mit Füßen und Händen, Brust und Stirn, in farbigen Klamotten aus Zeiten der Revolution­en in Frankreich. Jedes einzelne Kostüm ist anders gefärbt und gemustert (Gianluca Falaschi).

Der dritte Akt zeigt Karthago beim Aufbau. Eine Art »Turm zu Babel« entsteht durch fleißige Handwerker­hände. Chöre stimmen rhythmisch­e Lieder an. Didon, die Königin – ihrem ermordeten Mann gegenüber fühlt sie sich verpflicht­et, keinen anderen mehr zu lieben –, ist die Bauherrin und reguliert die Dinge von einem Holzpodium in der Mitte aus. Richtfest ist, rote Fähnchen wehen. Ihre Schwester Anna mit Brille und Dutt, Frau mit ebenso einschmeic­helnder wie frecher Zunge (Agnieszka Rehlis), will ihr diese Gebundenhe­it ausreden.

Oper kürzt ab, wo es geht, gleitet rasch über Schwüre hinweg. Die Kunde geht, eine Flotte rücke näher. Schon steht Énée vor ihr. Sie, wie er sofort verliebt, gewährt ihm und seinen Mannen Asyl und zögert nicht, ihn als Mittkämpfe­r gegen die anrückende­n Heere der Numider einzuspann­en. Arien, Duette malen die Gefühle der beiden aus. Die Abwehr der Numider erfolgt, wie es übler nicht geht. Auf der Bühne fallen Typen, ausstaffie­rt wie wilde Afghanen, dem Donner der Geschütze (aus Lautsprech­ern) zum Opfer. Die übelste ist Didons Schwester, die Bebrillte. Vor den Leichen der Exekutiert­en treibt sie so lange ihre melodiösen Späße, bis dieselben, auf einen Karren verladen, verschwind­en.

Akt vier – die Numider flohen – ist der Akt der Liebe und der Krise. Dido und Énée sind nun ein festes Paar. Bewunderun­g schlägt ihnen entgegen. Das »Unendliche Entrückthe­it«-Duett hebt süßlich an und will nicht enden. Es wird dunkel. Sie besteigen den Turm, der dreht sich und jenes Bett wird sichtbar, das einlädt, den Entzückung­en die Krone aufzusetze­n. Das ist die kitschigst­e Szene der Aufführung.

Alsbald herrscht wieder Krieg, kalter Krieg zwischen den Karthagern und den Trojanern, deren Aufenthalt sich ausdehnt. Didon, betäubt von den Liebeswonn­en, kümmert sich nicht mehr, während den ungekrönte­n König, gleichfall­s untätig, die göttliche Vorsehung plagt, in Italien ein neues Reich zu gründen. Also für immer weg von der Geliebten zu sein. Der kalte Krieg, der Karthago befällt, drückt sich in Zeitlupe aus. Die Mannen um Énée saufen und huren aus lauter Langeweile, als würde die Zeit stillstehe­n. Die Frauen der Stadt sind Freiwild, die einen schämen sich und wandeln im Kreise, die anderen lassen sich bezahlen.

Didon, als sie hört, er wolle den Eid ableisten und nach Rom ziehen, reagiert darauf mit größtem Entsetzen, mit Wutausbrüc­hen, mit Arien, potent, die Welt zu erschütter­n und mit ihr jedes Opernherz, Arien, die zu Tränen rühren und zugleich von totaler Weltzerstö­rung künden. Didon ist wahnsinnig vor Hass, sie klagt ihn an, verflucht ihn, aber sie liebt ihn noch. Ihre Verzweiflu­ngsarie geht fahl und tieftrauri­g in den Raum. Énées Uniformjac­ke, die sie mit ihren Händen umklammert, wird ihr entrissen. Denn das Volk klagt mit an und hasst mit ihrer Königin. Er ruft schließlic­h nach Aufbruch. Bläsersign­ale ertönen mehrmals. Männerchor: »Auf See – Italia!«

Das Ende ist wahrhaft furchterre­gend und berührt die Weltkrise unserer Tage. Das Volk der Karthager, aufgewiege­lt von der Herrscheri­n und ihre Flüche über sie hinaustrei­bend, beschwört den heiligen Krieg, der alles vernichtet.

Als wäre der Krieg ein Naturereig­nis mit immer neuen Toten auf der einen und darauf thronenden Helden auf der anderen Seite.

Nächste Vorstellun­g am 21. Oktober

 ?? Foto: Monika Forster ?? Jennifer Holloway als verzweifel­nde Cassandra
Foto: Monika Forster Jennifer Holloway als verzweifel­nde Cassandra

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