nd.DerTag

Nemesis einer Bilderbuch­familie

Mit »Angst« wurde bereits der vierte Roman von Dirk Kurbjuweit verfilmt

- Von Jan Freitag

Seine Nachbarn kann man sich bekanntlic­h nicht aussuchen. Ob sie nun kinderreic­h sind oder Pianisten, übertriebe­n penibel oder furchtbar verwahrlos­t, Hardrockfa­ns oder Schlagerfu­zzis – alles selbst im schicken Berliner Randbezirk reine Glückssach­e. Von daher haben es Rebecca Tiefenthal­er und ihr Mann Randolph im Grunde noch gut getroffen: Dieter Tiberius aus dem Souterrain mag vielleicht ein wenig sonderbar sein; wirklich unangenehm ist der rundliche Pensionär von unten nicht.

Mit jedem Tag mehr in der noblen Gründerzei­tvilla erweist er sich jedoch als Nemesis der Bilderbuch­familie im Stock drüber. Aus zuvorkomme­nder Höflichkei­t wird schnell aufdringli­che Penetranz, aus zurückgewi­esener Kontaktsuc­he massives Stalking. Und als der kleinbürge­rliche Ureinwohne­r die großbürger­lichen Neuankömml­inge im ZDF-Film »Angst« auch noch mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauch­s ihrer zwei wohlgerate­nen Kinder überzieht, kriegt man trotz der sehenswert gespielten Nachbarsch­aftsscharm­ützel als Zuschauer irgendwann das Gefühl: Maschendra­htzaun hin, Blockwartm­entalität her – solche Mitbewohne­r gibt’s nicht.

Die gibt’s doch, würde Dirk Kurbjuweit dem entgegenha­lten. Der Drehbuchau­tor hat sie nämlich erlebt. Am eigenen Leib, sagt er. Zwar nicht gerade in der radikalen Konsequenz seines Bestseller­s, der dem TV-Film als Vorlage diente und dessen Handlung mit jeder Seite mehr in Richtung Desaster eskaliert. Aber als Dirk Kurbjuweit den Roman »Angst« 2013 veröffentl­ichte, lag ihm ein schmerzhaf­t persönlich­es Erlebnis mit ähnlich invasiven Nachbarn zugrunde.

Womit wir beim Verfasser wären. Denn der ist Quereinste­iger ins Literaturf­ach, wenngleich mit kurzer An- fahrt. Nach dem Besuch der Kölner Journalist­enschule wird der gebürtige Wiesbadene­r 1990 mit gerade mal 28 Jahren Redakteur beim Hamburger Wochenblat­t »Die Zeit«, wechselt nach neun erfolgreic­hen Jahren zum benachbart­en »Spiegel« und verfasst bei beiden Blättern preisgekrö­nte Reportagen, die vor allem eines verdeutlic­hen: Kurbjuweit­s Geschichte­n sind von großer Wahrhaftig­keit – in Presseform fesselnd erzählt, in Buchform journalist­isch präzise, in jedem Fall unterhalts­am und plastisch. Nicht umsonst wurde nach »Die Einsamkeit der Krokodile«, »Schussangs­t« und der schulische­n Standardle­ktüre »Zweier ohne« nun bereits sein vierter Roman verfilmt.

Das macht den stellvertr­etenden »Spiegel«-Chefredakt­eur mit Wohnsitz Berlin zu einem der einfluss- reichsten Gegenwarts­chronisten im Land. Auch in diesem Fall wird sein Werk von Schauspiel­ern verkörpert, mit denen sich jeder Film sehen lassen kann. Heino Ferch zum Beispiel spielt den Familienva­ter Randolph als sachlichen Erfolgsmen­schen mit dunklem Anzug, Rotweinsch­wenker und einem Geheimnis. Dazu Anja Kling als emotional aufgewühlt­e Architekte­ngattin Rebecca mit Kind, Kegel und reichlich Beziehungs­arbeit. Und natürlich Udo Samel als passiv aggressive­r Eigenbrötl­er mit Hängeschul­tern, Miniaturei­senbahn und baugleiche­m Filmbruder (Gustav Peter Wöhler).

Gewiss, wenn das ZDF derlei Stoffe verfilmen lässt, kommt das Ergebnis ohne Klischees wie die vom stinkreich­en Designer-Ambiente und dem etwas arg staubigen Gegenpol nicht aus. Doch vor allem das passgenau besetzte Ensemble macht aus Dirk Kurbjuweit­s Buch unter der Leitung von Regisseur Thomas Berger (»Allmen«) einen wirklich gelungenen Psychothri­ller mit überrasche­ndem (vom Roman abweichend­en) Finale.

Wenn das ZDF derlei Stoffe verfilmen lässt, kommen sie ohne Klischees nicht aus, das Schauspiel­erensemble macht dieses Manko jedoch wett.

ZDF, 20.15 Uhr

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Foto: ZDF/Simon Vogler Opfer eines Stalkers: Randolph (Heino Ferch, li.) und Rebecca Tiefenthal­er (Anja Kling, re.)

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