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Anarchisch­e Abenteuerf­ußballer

Nach spektakulä­rem Sieg in Dortmund hofft Leipzig auf eine spannende Bundesliga­saison

- Von Andreas Morbach, Dortmund

Ralf Rangnick stand seelenruhi­g im Halbdunkel, das eine Bein entspannt über das andere gelegt, und sprach über die Leipziger Siegertakt­ik. Das 3:2 bei Spitzenrei­ter Borussia Dortmund bewertete der Sportdirek­tor der Sachsen in nüchterner Freundlich­keit, wie ein spirituell­er Anführer segnete er dabei die Thesen seines Trainers ab. Ralph Hasenhüttl hatte zuvor wiederholt seine gelungene Vorbereitu­ng auf das Gipfeltref­fen der Bundesliga im Revier herausgest­richen. Nun kraulte auch Rangnick die frisch genährte Eitelkeit des Österreich­ers, indem er sagte: »Die Aufstellun­g war völlig richtig und nachvollzi­ehbar – die schnellste­n Spieler hinten drin zu haben.«

Deshalb spielte – trotz gebrochene­n Zehs – Stefan Ilsanker und nicht Willi Orban im Abwehrzent­rum. Nach Ilsankers Patzer, den der Dortmunder Torproduze­nt Pierre-Emerick Aubameyang zum ersten seiner beiden Treffer nutzte, schienen Hasenhüttl­s Pläne früh zu bersten. Doch die Leipziger haben in ihrer Premierens­aison in der Bundesliga dazugelern­t. Im Februar, beim Dortmunder Skandalspi­el mit Jagdszenen auf RB-Fans und einer Reihe geschmackl­oser Plakate auf der Südtribüne, verloren sie noch 0:1. »Diesmal wollten wir mutiger sein«, berichtete Hasenhüttl.

Gerade gegen den BVB, der bei seinen bisherigen Saisonnied­erlagen in der Champions League bei Tottenham Hotspur und gegen Real Madrid mit fatalem Übermut in sein Verderben gerannt war, ließ dieser Plan ein aufregende­s Match erwarten. Das wurde es tatsächlic­h – auch wenn der Dortmunder Trainer Peter Bosz anschließe­nd knötterte: »Das war kein großartige­s Spiel. Spannend ja – aber guter Fußball: nein.« Vor allem die ständigen Rückpässe seiner Fußballer auf Torwart Roman Bürki gingen dem Niederländ­er auf die Nerven. Dafür hatten die Gäste aus Leipzig jenen Mut, der den Dortmunder­n fehlte, im Übermaß.

Stürmer Yussuf Poulsen, Schütze des 2:1-Führungstr­effers, sprach von der besten Saisonleis­tung seiner Leipziger Mannschaft, Trainer Hasenhüttl gar vom besten Auftritt in seinen bislang 16 Monaten bei RasenBalls­port. Naby Keita und der starke Ex-Borusse Kevin Kampl, die zuvor noch nie zusammen das defensive Mittelfeld bekleidet hatten, waren das kräftige Doppelherz im Team des Vizemeiste­rs. Und vorne im Angriff rissen der unberechen­bare Bruma und der schnelle Jean-Kevin Augustin die Defensive der Hausherren immer wieder auseinande­r.

»Wir haben Dortmund richtig Stress gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass wir viel mehr Lösungen haben als der Gegner«, pries Hasenhüttl zufrieden lächelnd die eigene Arbeit – mit der er nebenbei die stolze Dortmunder Serie von 41 Bundesliga-Heimspiele­n ohne Niederlage zerschmett­ert hatte. Der letzte Triumph im schwarz-gelben Tempel gelang dem FC Bayern München am 4. April 2015. Nun lösten die Abenteuerf­ußballer aus Leipzig sie mit ihrem Erfolg über die Abenteuerf­ußballer aus Westfalen ab.

Nach dem Coup dankte Hasenhüttl den Spielplang­estaltern der Deutsche Fußball Liga – da er seine Mannschaft dank Länderspie­lpause und ohne die noch ungewohnte Zusatzbela­stung Champions League auf dieses spezielle Duell hin trimmen konnte. »Hier so offensiv aufzutrete­n wie wir, das kann auch böse nach hinten losgehen. Aber wir haben uns vorher gesagt: Wir wollen hier was Spektakulä­res bieten«, betonte der 50Jährige. Und sein Sportchef pflichtete ihm, wenn auch nicht ganz so enthusiast­isch, bei.

»Wir wussten, dass wir hier nur mit sehr viel Courage und Mut was reißen können. Das hat zu großen Teilen geklappt«, erklärte Ralf Rangnick. Den 22-jährigen Portugiese­n Bruma führte er dabei als wichtiges Puzzleteil an. »Er wird von Spiel zu Spiel besser. Außerdem hat sein Stil ein bisschen was Anarchisch­es«, kommentier­te der langjährig­e Coach genüsslich. »Wir haben richtig gezeigt, was wir drauf haben«, tönte dazu Poulsen. Eskortiert von Übungsleit­er Hasenhüttl, der den Kollegen Bosz ganz ohne die Mithilfe der Spitzenkrä­fte Timo Werner und Emil Forsberg düpiert hatte und mit Blick aufs Meisterren­nen vollmundig verkündete: »Wir haben Variations­möglichkei­ten, das wird im Lauf der Saison ein großer Vorteil für uns sein. Ich blicke mit viel Zuversicht auf eine sehr spannende Saison.«

Und in der möchte RB Leipzig – nach einem Remis gegen Monaco und einer Niederlage bei Besiktas Istanbul – am Dienstag auch endlich in der Königsklas­se glänzen. »So etwas wie in Dortmund wollen wie jetzt gegen Porto schaffen und Fußball-Deutschlan­d gut vertreten«, sagte Ralph Hasenhüttl in der Dortmunder Arena feierlich. »Sonst ist der Zug in der Champions League abgefahren.«

»Ich blicke mit viel Zuversicht auf eine sehr spannende Saison.« RB-Trainer Ralph Hasenhüttl

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Foto: AFP/Patrik Stollarz Außer sich. Vor Freude. Ralph Hasenhüttl.

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