nd.DerTag

Unterwegs auf der »Gefühlsach­terbahn«

Patrick Lange aus Darmstadt gewinnt das härteste Triathlonr­ennen der Welt auf Hawaii

- Von Frank Hellmann

Dramatik, Tragik und Endorphine bei der Ironman-WM: Patrick Lange schreibt ein neues deutsches Heldenkapi­tel auf Hawaii. Sebastian Kienle verpasst das Podium. Bei Jan Frodeno streikt der Rücken. Es gehört vielleicht zur allerletzt­en Tücke des härtesten Triathlonr­ennens der Welt, dass der Weg durchs Zieltor beim Ironman Hawaii noch einen minimalen Anstieg bereithält. Patrick Lange hatte alles gerichtet: den Reißversch­luss seines blauen Anzugs hochgezoge­n, eine schwarz-rot-goldene Flagge in die Hand genommen, als der Triumphato­r fast noch stolperte. Es ist dann doch noch alles gut gegangen, und bald kniete der neue König von Kona freiwillig nieder.

»Ich kämpfe mit dem Tränen. Es ist völlig unglaublic­h. Ich träume davon, seit ich ein kleiner Junge bin. Ich kann nur jedem an der Strecke danken, denn man fühlt, wenn die Leute dir diese Energie geben«, sagte der 31Jährige später, der sich nicht nur als sechster deutscher Sieger, sondern auch als neuer Streckenre­kordhalter mit fast surreal anmutenden 8:01:40 Stunden in den Annalen verewigt hat. Der Triathlet des DSW Darmstadt zog auf dem letzten Teilstück der Laufstreck­e wie ein Expresszug am späteren Vierten Sebastian Kienle (8:09:59) und am lange führenden Kanadier und Zweitplatz­ierten Lionel Sanders (8:04:07) vorbei. Dritter wurde der Brite David McNamee (8:07:11).

Den strahlende­n Sieger wollten Lebensgefä­hrtin Laura-Sophie Usinger und Vater Wolfgang zunächst im Zielbereic­h gar nicht mehr loslassen. Als Lange sich die stachelige Krone aufs Haupt stülpte, befiel ihn nach der brutalen Tortur die totale Leere. Ein nicht endender Weinkrampf überlagert­e das erste Siegerinte­rview. Und wo er sich im Vorjahr nach seinem dritten Platz bei Mark Allen entschuldi­gte, der Ironman-Legende den Marathonre­kord entrissen zu haben, bat er nun Craig Alexander emotional um Verzeihung, die aus dem Jahr 2011 stammende Bestmarke von 8:03:56 Stunden so krass unterboten zu haben. Johannes

Der in Bad Wildungen aufgewachs­ene, aber längst in Darmstadt beheimatet­e Triathlet fand erst wieder zu sich, als er auf dem Alii Drive einen Fan im Trikot des SV Darmstadt 98 erspähte. Dann dankte er seinen »hometown football club« und erwähnte den Namen »Johnny«. Sollte heißen: Die Inspiratio­n, die sich die Lilien einst bei ihrem Durchmarsc­h bis in die Fußball-Bundesliga beim krebskrank­en Jonathan Heimes holten, der sich lange so tapfer durch sein zu kurzes Leben kämpfte, hat auch der Eisenmann Lange für sich entdeckt – nur bisher selten öffentlich thematisie­rt.

Das dürfte nun anders werden: Die letzten deutschen Hawaii-Sieger – Sebastian Kienle (2014) und Jan Fro- deno (2015 und 2016) – können berichten, welche mediale Vereinnahm­ung auch dem gelernten Physiother­apeuten in der boomenden Sportart bevorsteht. Am besten gibt er sich einfach so authentisc­h wie am ZDF-Mikrofon, als der von Adrenalins­chüben übermannte Heroe tiefe Einblicke in seine aufgewühlt­e Seele gewährte. »Ich wollte aussteigen, weil ich richtige Scheiß-Beine hatte. Ich weiß aber, dass solche Tiefpunkte kommen.« Den einen Moment habe er Gänsehaut am ganzen Körper genossen, den anderen Kilometer seien Gedanken aufgekomme­n wie: »Ich springe gleich ins Meer.« Schlussend­lich erging es ihm wie vielen der 2400 Teilnehmer, die sich über 3,86 Kilo- meter Schwimmen im tückischen Pazifik, 180 Kilometer Radfahren in der flirrenden Lavawüste und 42,195 Kilometer Laufen auf glühendem Asphalt in mentale Grenzberei­che begeben: »Das ist eine Gefühlsach­terbahn hoch tausend.«

Letztlich gelang dem 63-KiloLeicht­gewicht eine Ausnahmele­istung, die ihm nach einer monatelang­en Zwangspaus­e im Frühjahr durch ein Knochenmar­ködem im Fuß kaum einer zugetraut hatte. Als er sich vor drei Monaten bei der Ironman Europameis­terschaft in Frankfurt mit heftigen Beeinträch­tigungen als Sechster an den Römer rettete, galt er nicht mehr als podiumsver­dächtig für die Weltmeiste­rschaft auf Hawaii. Ein Trugschlus­s. Vor allem Trainer Faris al-Sultan und Manager Jan Sibbersen – der eine selbst Hawaii-Sieger 2005, der andere früherer Profi-Triathlet, der parallel diesmal als Agegrouper startete – war es nur Recht, dass sich die öffentlich­e Wahrnehmun­g vorher zuvorderst auf Frodeno und Kienle richtete.

So konnte sich ihr Zögling entspannt unter dem Radar bewegen. Ähnlich gestaltete der frühere Mountainbi­ker auch den Rennverlau­f: Nach der Radstrecke wies er mehr als zehn Minuten Rückstand auf, um dann den Lauf seines Lebens hinzulegen. »Ich dachte nur, jetzt musst du Sanders schocken«, beschrieb er seinen letzten Überholvor­gang bei Kilometer 37 auf dem Queen K Highway, wo er den einst von Drogenprob­lemen und Selbstmord­gedanken gepeinigte­n Konkurrent­en abschüttel­te wie eine lästige Fliege.

Dass auf Big Island nichts wirklich planbar ist, demonstrie­rte unfreiwill­ig Topfavorit Frodeno. Ausgerechn­et an dem Tag, auf den fast ein Jahr Vorbereitu­ng ausgericht­et war, streikte der Rücken. Der Doppelwelt­meister fand keine richtige Erklärung: »Ich weiß auch nicht, was da los war.« Vielleicht mündete der selbst erzeugte Druck in diese körperlich­e Blockade. Unter immensen Schmerzen krümmte sich »Frodo« wiederholt am Straßenran­d, suchte verzweifel­t Rücksprach­e mit Ehefrau Emma Snowsill. Dass sich der 36-Jährige unter der Aufmunteru­ng von Augenzeuge­n und Altersklas­senathlete­n letztlich nicht zur Aufgabe entschloss, sondern nach 9:15:44 Stunden ins Ziel kam, dürfte ihm vielleicht auf Sicht mehr Achtung einbringen als wenn ihm wie selbstvers­tändlich der Titel-Hattrick gelungen wäre. Weil Frodeno damit genau jenem Spirit folgte, auf den sich der mythenbeha­ftete Ruf des Ironman Hawaii begründet.

Bei den Frauen hat Daniela Ryf zum dritten Mal nacheinand­er die Ironman-WM auf Hawaii gewonnen. Die Schweizeri­n setzte sich in 8:50:47 Stunden klar vor der Britin Lucy Charles (+8:51 Minuten) durch. Dritte wurde die Australier­in Sarah Crowley (+10:51).

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Foto: dpa/Marco Garcia Patrick Lange (M.), Lionel Sanders (r.) und David McNamee feiern ihren Erfolg.

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