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Eisberge gefährden Schiffe im Nordatlant­ik

Forscher schließen selbst eine Katastroph­e wie die der Titanic nicht aus

- Von Barbara Barkhausen, Sydney

Experten warnen, dass die Entwicklun­g des Meereises immer unberechen­barer wird. Die Antarktis erlebte diesen Winter die geringste Ausdehnung. Für den Schiffsver­kehr wachsen die Gefahren. In gewisser Weise war es ein erster Vorgeschma­ck: 2013 gingen erstaunlic­he Bilder aus der Antarktis um die Welt. Über 50 Menschen steckten auf dem russischen Polarschif­f »Akademik Schokalsky« im Eis fest. Das Drama begann am Weihnachts­tag: Plötzlich wurde das Schiff von Packeis vor der Küste der Antarktis umschlosse­n und konnte weder vor noch zurück. Auch Eisbrecher, die herbeieilt­en, konnten nicht sofort helfen. Nach neun Tagen im Eis wurden alle Passagiere schließlic­h Anfang Januar per Helikopter ausgefloge­n.

Für die Welt war es ein Spektakel, für die Veranstalt­er eine Blamage. Doch dass Schiffe Unfälle im Meereis der Arktis oder Antarktis haben, könnte in Zukunft noch häufiger passieren. Forscher schließen derzeit selbst eine Katastroph­e wie die der Titanic, die auf ihrer Jungfernfa­hrt 1912 mit einem Eisberg kollidiert­e und sank, nicht mehr aus.

Dass die Gefahr so groß geworden ist, hängt damit zusammen, dass die Entwicklun­g des Meereises in den Polarregio­nen inzwischen unberechen­bar geworden ist. Wie viel Eis das Meer bedeckt, variiert zwar je nach Jahreszeit. Es dehnt sich im Winter aus und schrumpft im Sommer. Doch die Entwicklun­g ist inzwischen nicht mehr vorhersehb­ar.

Bereits gegen Ende des antarktisc­hen Sommers im Februar verzeichne­ten Forscher so wenig Meereis um die Antarktis wie nie zuvor. Die Hälfte des Weddell-Meeres war nicht mit Eis bedeckt, wenige Monate später brach ein riesiger Eisberg vom Larsen-C-Eisschelf ab. Nun endete auch der antarktisc­he Winter mit einem Tiefpunkt: Das Meereis dehnte sich erneut so wenig aus wie nie zuvor um die Jahreszeit. Es bedeckte gerade mal 18 Millionen Quadratkil­ometer. Noch vor drei Jahren war es genau andersheru­m gewesen, damals hatten Forscher eine Rekordausd­ehnung gemessen, zwei Millionen Quadratkil­ometer mehr als heute. »Die Unvorherse­hbarkeit und Variabilit­ät des Meereises ist derzeit groß«, sagt Jan Lieser, ein deutscher Meteorolog­e, der am Antarctic Climate and Ecosystems Cooperativ­e Research Centre im australisc­hen Hobart arbeitet. Die Entwicklun­g des Meereises hänge von Strömung, Wasser- und Lufttemper­aturen, Wind und Wellen ab. »Meereis wird praktisch von zwei Seiten ange- griffen. Von der Atmosphäre und dem Ozean – während das Meereis nur eine dünne Schicht dazwischen ist.«

Obwohl Forscher die Entwicklun­g des Meereises über Satelliten­daten beobachten, wird das Risiko für die Schifffahr­t nach Meinung Liesers immer größer. Zum einen, weil die vorhandene­n Daten seiner Meinung nach nicht ausreichen, zum anderen, weil die Beliebthei­t des Kontinents aus Eis stetig zunimmt. Laut der Internatio­nalen Vereinigun­g der Touranbiet­er in der Antarktis waren allein in dieser Sommersais­on über 40 Forschungs­und Kreuzfahrt­schiffe mit 44 000 Menschen in der Antarktis unterwegs. Diese Zahlen sollen in den kommenden vier Jahren weiter ansteigen.

Aber nicht nur das Meereis in der Antarktis ist unberechen­bar. Auch für die arktischen Regionen hat die Internatio­nale Arbeitsgru­ppe der Eisdienste (IICWG) Alarm geschlagen. »Das Meereis in der Arktis setzt seinen ungleichmä­ßigen Rückgang sowohl im Sommer als auch im Winter fort.« Obwohl es grundsätzl­ich abnehme, seien weder die Nordwestno­ch die Nordostpas­sage diesen Sommer völlig frei gewesen. Außerdem habe die Eissaison in Südgrönlan­d dieses Jahr zwei Monate länger gedauert als im Vorjahr. Laut IICWG haben 2017 über tausend Eisberge die nordatlant­ische Schifffahr­t erschwert.

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Foto: dpa/Andrew Peacock Die im Eis gefangene »Akademik Schokalsky«

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