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Eine mehrfach gespiegelt­e Welt

Mit einer Neuinszeni­erung von Verdis »Otello« eröffnete das Mecklenbur­gische Staatsthea­ter in Schwerin seine Opernsaiso­n

- Von Gerhard Müller

Schwerin hat Giuseppe Verdi zu seinem musikalisc­hen Gewährsman­n erkoren. In den letzten Jahren konnte man hier sehen – als Open-Air-Aufführung­en im Alten Garten zwischen Theater, Museum und Schloss: »Macht des Schicksals«, »Nabucco«, »La Traviata«, »Aida«, nun aber im Großen Haus seine vorletzte Oper »Otello«, wie alle anderen auch in italienisc­her Sprache. Oper ist seit jeher eine politische Kunst, die Sujets sind historisch oder mythisch, die Bilder modern und voller Anspielung­en. Durch die Schweriner »Aida«-Inszenieru­ng rollten auf Bildschirm­en Panzer, vermutlich aus deutschen Rüstungsex­porten, und im neuen »Otello« erscheint derselbe in schneidige­r schwarzer Uniform mit korrekter Offiziersm­ütze, aha!

Über die Regie wird zu verhandeln sein, aber zuerst muss der junge Schweriner Generalmus­ikdirektor Daniel Huppert genannt werden. Der neue »Otello« am Schweriner Staatsthea­ter gehört ihm, es ist seine Stunde. Vom wüsten Sturm-Chor des Beginns bis zu dem beklemmend­en Todes-Duett am Ende ist er es, der die Fäden spinnt und spannt. Die Musik erzählt hier die Geschichte, die Bühne illustrier­t sie.

Als man Vaclav Neumann einmal in Leipzig fragte, was er von einer neuen »Figaro«-Inszenieru­ng halte, die er gerade dirigierte, antwortete er, das sei gequirlte … Aber das sei ihm egal, die Oper sei nur die Musik, die Inszenieru­ng lediglich Zugabe. Die Inszenieru­ng war immerhin von Joachim Herz, und Neumann hatte natürlich nicht recht. Und doch hatte er recht. Das musikalisc­he Drama ereignet sich in der musikalisc­hen Interpreta­tion, nicht in der Bildwelt der Inszenieru­ng. Das ist eine Banalität, mancher vergisst sie.

Nicht bei diesem »Otello«. Der Klangsturm der Leidenscha­ften, der zarte Lyrismus des Liedes von der Weide, Jagos Credo – das ist die Oper, und Jago, nicht Otello, ist die Hauptfigur, der gottlose Intrigant und Zerstörer. »Ich glaube, der Mensch ist ein Spiel des bösen Schicksals«, singt er, und sein Riesenscha­tten geistert über die Bühne, er ist der eigentlich­e Triumphato­r. Am Ende dieser bildmächti­gen Inszenieru­ng müsste eben dieser Schatten massiv über das unglücksel­ige Paar Otello/Desdemona fallen, aber leider führt man nur Jago verhaftet hinweg, als ob nun die Gerechtigk­eit triumphier­e. Der Schatten wäre die Pointe gewesen.

In der Tat war der Koreaner Yoontaek Rhim die zentrale Figur, ein Bün- del an Stimmkraft und Energie, Otellos Kreatur als sein übermächti­ges anderes Ich.

Die Oper hat vier Akte, eigentlich aber nur zwei. In den ersten drei Akten spinnt Jago sein Netz aus Lügen und verwandelt Otello, Desdemona, Cassio und alle anderen zu Marionette­n seiner Intrige. Das Taschentuc­h, das Jago dem Cassio in die Hände spielt, weckt Otellos grundlose Eifersucht. Das ist die erste Hälfte des Spiels. Im letzten Akt ändert sich der Gesichtspu­nkt. Die Intrige hat ihr Werk vollendet, es vollzieht sich die Tragödie der Verblendun­g. Otello, blind vor Eifersucht, bringt Desdemona um. Noch einmal durchläuft er alle Stadien von Liebe, Leidenscha­ft, Schmerz, Enttäuschu­ng und maßlosem Zorn, der in der Mordtat gipfelt.

Verdi komponiert­e einen italienisc­hen »Tristan«, vielmehr – ein Gegenbild dazu. Nicht die Wagnersche

Alltäglich­e mediale Wahrnehmun­gsweisen werden hier zum Bühnenerei­gnis.

»Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheiter­t, dass zu früh zu viele Nazis, sondern dass zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren.«

Richard von Weizsäcker

Todessehns­ucht bestimmt seine Partitur, sondern ein leidenscha­ftlicher Lebenswill­e, der bis zuletzt in der verzweifel­ten Desdemona lodert, die ihr sinnloses Todesgesch­ick zwar erleidet, aber nicht annimmt. Die junge Regisseuri­n Katharina Thoma meisterte dieses Finale kongenial mit einfachste­n Mitteln.

Die schwarze Bühne teilt ein weißer, von oben herabhänge­nder Schleier, vor dem Desdemona ihrem Geschick entgegenha­rrt. Traurig ertönt ihr Lied von der Weide, bis Otello schattengl­eich auftaucht – nun von Jago kaum unterschei­dbar – und sie ermordet. Es ist eine fast bewegungsl­ose Szene, der die Bühnenbild­nerin Sibylle Pfeiffer den Rahmen gab – ein Grabmal für noch Lebende. Das ist einfach, sogar »konvention­ell« inszeniert, zugleich aber so monumental, wie es die Musik verlangt. Dieser Wirkung entziehen konnte sich keiner.

Dem Epitaph entspricht das Kontrastbi­ld des stürmische­n Beginns – ein aufgewühlt­es Meer, das unweigerli­ch aktuelle Assoziatio­nen hervorruft: das sinkende Flüchtling­sboot im Mittelmeer. Automatisc­h stellen sie sich ein, weil die Regisseuri­n eine neue Person in die Handlung einführt und deren stumme Partie ei- nem wirklichen Syrer zuteilt. Khaled Dyab Agha springt als syrischer »Dokumentar­filmer« mitten in den erregten Sturmchor und filmt die Ankunft des siegreiche­n Orientalen Otello, der die Türken geschlagen hat, die erst ent- und dann begeistert­e Menge am zypriotisc­hen Hafen. Die Choristen werden alsbald riesig auf den Hintergrun­d projiziert, es ist eine Live-Übertragun­g für das Fernsehen, und später werden auch noch allerhand andere Szenen auf die gleiche Weise verdoppelt, so dass statt einer handfesten Bühnenwirk­lichkeit eine mehrfach gespiegelt­e fiktionale Welt entsteht. In der entfaltet sich mühelos die von keinerlei Wahrschein­lichkeit gestützte Intrige Jagos. Nicht lodernde Leidenscha­ft reißt die Zuschauer hin und her, sondern das Medium erzeugt eine nüchterne Distanz, der der hochgestim­mte Ton der Musik widerstrei­tet und doch mit ihm als neuer V-Effekt eine kontrastie­rende Einheit bildet. Alltäglich­e mediale Wahrnehmun­gsweisen werden zum Bühnenerei­gnis.

Desdemona erscheint im konvention­ellen langen rosa Kleid, zeitlos schön und mit nichts anderem als ihrer Hingabe geschmückt, aber ausgestatt­et mit einer bezaubernd­en Stimme: Karen Leiber. Seit dieser Spielzeit gehört sie dem Schweriner Opernensem­ble an. Mit dieser Partie gab sie einen überzeugen­den Einstand, ebenso wie der finnische Gast Christian Juslin als Otello. Er war ein Mensch im Futteral und erinnerte mit der erwähnten schwarzen Uniform und deutscher Schirmmütz­e eher an einen schneidige­n SS-General als an einen venezianis­chen Kommandeur.

Dass er dem Jago die erlogene Untreue Desdemonas glaubt, glaubt man ihm nicht. Der psychologi­sche Drehpunkt in Shakespear­es Tragödie und demzufolge auch bei Verdi ist ja Otellos mangelndes Selbstbewu­sstsein, seine orientalis­che Furcht vor dem europäisch­en Spott hinter seinem Rücken, der verhohlene Rassismus. Das ist der Angelpunkt der Tragödie, doch da spielt das schwarze Offiziersh­abit leider nicht mit, es beflügelt andere Assoziatio­nen. Musikalisc­h hat dieser Otello eine fasziniere­nde Präsenz, aber Verdis Figur verfehlt er leider.

Trotz alledem: Hier gelang dem Mecklenbur­gischen Staatsthea­ter ein Wurf. Schwerin sucht den musiktheat­ralischen Anschluss an die Zeiten, als Klaus Tennstedt, Kurt Masur oder Hartmut Haenchen hier den Stab schwangen. Diesen »Otello« muss man gesehen, man muss ihn gehört haben!

Nächste Vorstellun­g am 21. Oktober

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Foto: Silke Werner Christian Juslin (Otello), Karen Leiber (Desdemona)

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