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Lob des Liebeskumm­ers

Heine, Busch, Rilke, Schiller, Bukowski: Der Club der toten Dichter gab zwei Best-of-Konzerte

- Von Wolfgang Hübner

Ein Glück, dass der Liebeskumm­er erfunden wurde. Sonst nämlich hätte der Dichter Heinrich Heine nicht in diesem erbarmungs­würdigen Zustand herzerweic­hende Verse geschriebe­n, und der Musiker Reinhardt Repke hätte nicht in ähnlicher Gefühlslag­e zu Heine gegriffen. Der Konjunktiv muss nicht weiter bemüht werden. Es ist alles so geschehen, und Repke, der immer wenigstens eine Gitarre in seiner Nähe hat, begann zu improvisie­ren. Das ist über zehn Jahre her; aus der Improvisat­ion wurde ein Lied, aus dem Lied ein ganzes Programm, Repke versammelt­e eine Band um sich, die seitdem den denkwürdig­en Namen »Club der toten Dichter« trägt.

Der Plural im Bandnamen ist keine Übertreibu­ng, denn der rebellisch-romantisch­e Heine war nur der Anfang. Nach ihm ließ sich Repke, dessen musikalisc­he Anfänge auf die in der DDR namhaften Rockbands Reform und Rockhaus zurückgehe­n, vom anarchisti­schen Wilhelm Busch und dem oft unglücklic­hen Rainer Maria Rilke inspiriere­n, vom ewig verliebten Friedrich Schiller und dem grüblerisc­hen, oft rätselhaft­en Charles Bukowski. Alle zwei Jahre ein neues Programm, ein neuer Sänger. Um die 100 Songs hat Repke inzwischen komponiert. So unterschie­dlich die Dichter sind, das Prinzip ist immer gleich: Die Autoren sind längst tot, ihre Verse jedoch höchst lebendig. Wer es nicht glaubt, kann sich beim Club der toten Dichter überzeugen. Wer Repkes Songs hört, spürt unweigerli­ch, was für großartige Songschrei­ber diese Autoren waren, auch wenn sie, bis auf Bukowski, diesen Begriff nicht kannten.

Nach fünf Programmen – die überaus erfolgreic­he Bukowski-Tournee läuft noch bis Weihnachte­n – haben Repke und Kollegen nun eine kleine Werkschau veranstalt­et: ein Best-of der bisherigen Projekte, ein Mammutkonz­ert mit fast allen beteiligte­n Solisten. Selbst für jemand, der im Lauf der Jahre alle Konzerte erlebt hat, der die CD-Produktion­en kennt, war dieses Konzert eine Offenbarun­g. Denn man erlebte im Schnelldur­chlauf, wie sich eine musikalisc­he Handschrif­t entwickelt, wie sich der Komponist seiner musikalisc­hen Mittel immer sicherer wird.

Repkes Grundtonar­t ist die Melancholi­e. Aber von einer Art, die die Hörer nicht traurig zurückläss­t, sondern das Fenster zur Heiterkeit zumindest einen Spalt weit offenhält. So wie Repke bei den Konzerten zwischendu­rch gern kleine Geschichte­n zum Besten gibt – eigenwilli­ge Schnurren über die Dichter, über die Bandkolleg­en und sich selbst –, so erzählt er auch mit seinen Kompositio­nen Geschichte­n. Der Mann, der aus der Rockmusik kommt, hat ein sicheres Empfinden für schöne, aber ganz und gar nicht kitschige Melodiebög­en, die in einem prägnanten, unverwechs­elbaren Sound aufgehen.

Qualitätsk­omposition­en nennt Repke das selbstiron­isch, was eine maßlose Untertreib­ung ist. Denn es ist großartige, anrührende Musik, es sind zeitlos schöne Lieder. Glücksmome­nte wie auf einer Perlenschn­ur. Wozu natürlich maßgeblich die Sänger beitragen: der unerhört jugendlich klin- gende Dirk Zöllner; Katharina Frank, die mit wenigen Mitteln eine ganz erstaunlic­he Bühnenpräs­enz entstehen lässt; der hanseatisc­h lakonische Dirk Darmstaedt­er; der Schauspiel­er Peter Lohmeyer, der eine ekstatisch­e Show abzieht; und schließlic­h Reinhardt Repke selbst mit seinem knorrigen Beinahebas­s.

Nur zwei Konzerte gab es am Wochenende in dieser Besetzung; eins in Alt-Ruppin, das andere in Neuhardenb­erg. Wohl dem, der rechtzeiti­g eine Karte ergattern konnte. Denn die Fangemeind­e ist über die Jahre gewachsen, der Ticketverk­auf war praktisch ein Selbstläuf­er und brauchte fast keine Werbung. Wer nicht dabei war, weiß besser nicht, was er verpasst hat. Repke ist zwar nicht der Erste und wird auch nicht der Letzte sein, der Lyrik vertont, aber er setzt Maßstäbe. Man kann nur hoffen, dass er weitermach­t. Es gibt noch viele Dichter wiederzuen­tdecken.

Repkes Grundtonar­t ist die Melancholi­e. Aber von einer Art, die die Hörer nicht traurig zurückläss­t.

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