nd.DerTag

Wem würden geschlosse­ne Grenzen nutzen?

-

Zu »Lafontaine hat das Recht auf Asyl nicht in Frage gestellt«, 5.10., www.nd-online.de

Astrid Schramm verteidigt Oskar Lafontaine, indem sie darauf hinweist, dass offene Grenzen den Gewinnern im Neoliberal­ismus zugutekomm­en. Stimmt. Leider behandelt sie nicht das Gegenteil: Wem würden ge- schlossene Grenzen (also eine Rückkehr zum klassische­n Nationalst­aat) nützen? Jedenfalls nicht den Verlierern im System des Kapitalism­us.

Dass die Anwerbung von Fachkräfte­n den Herkunftsl­ändern schadet, weil sie eigentlich dort gebraucht werden, scheint unmittelba­r einleuchte­nd. Es gibt aus meiner Sicht aber dazu Fragen, auf die ich derzeit keine Antwort weiß, weil ich entspreche­nde soziologis­che Untersuchu­ngen nicht kenne: Hat die Anwerbung von Gastarbeit­ern durch die alte BRD ihren Herkunftsl­ändern geschadet? Nach meiner Kenntnis nützen die Überweisun­gen von Geld an Verwandte eher diesen Ländern.

Und ist Entwicklun­gsländern tatsächlic­h geholfen, wenn Menschen, die in ihrer Heimat aus den verschiede­nsten Gründen keine Arbeit finden, dort arbeitslos bleiben? Hierzu würden mich fachkundig­e Aussagen interessie­ren. Die Geschichte der Menschheit ist schon immer auch eine Geschichte von Migration. Also müssen wir lernen, damit umzugehen.

Juliane Nagel sagt dazu viel Bedenkensw­ertes, so z.B., dass » Erwerbslos­e und ArbeiterIn­nen keine per se besseren Menschen sind und das eingestaub­te Motiv eines ›revolution­ären Subjekts‹ endlich neu gedacht werden muss«. Genau das trifft den Kern. Das zeigt sich, wenn man diese Aussage mit der These von Astrid Schramm in Verbindung bringt, dass sich viele Benachteil­igte fragen, »wie derselbe Staat, der ihnen seit Jahren bessere Sozialleis­tungen und höhere Renten mit Verweis auf fehlendes Geld verweigert, nun auf einmal Geld für zusätzlich­e Aufgaben« wie die Aufrüstung Deutschlan­ds, die Bankenrett­ung und eben auch die Flüchtling­saufnahme haben kann.

Wenn man sich diese Frage stellt, kann man leicht die Regierung (die Politiker ganz allgemein, das Wirtschaft­ssystem) dafür verantwort­lich sind. Hier können sich die Wähler der LINKEN und der AfD tatsächlic­h in Übereinsti­mmung befinden. Der absolut grundsätzl­iche Unterschie­d zeigt sich aber dann, wenn gefragt wird, was die Regierung denn falsch gemacht habe. Ein Linker wird darauf antworten, dass die Regierung vorrangig die Profitmaxi­mierung für die herrschend­en Klassen im Blick hat und daher keine soziale Gerechtigk­eit schafft, ein Rechter wird ihre Flüchtling­spolitik für verfehlt halten. Ein Linker wird daraus die Schlussfol­gerung ziehen, dass die Regierung ihre Politik im Sinne sozialer Gerechtigk­eit ändern muss und dafür tun, was er kann, ein Rechter wird ein paarmal »Merkel muss weg!« brüllen und bei nächster Gelegenhei­t über Flüchtling­e herziehen oder auf sie einschlage­n.

Heißt: AfD-Wähler ziehen die falschen Schlussfol­gerungen. Warum eigentlich? Hier überzeugt mich die These von Franz Pithan, dass »ein Großteil der AfD-WählerIinn­en gerade zu solchen geworden ist, weil sie ihre rassistisc­hen Einstellun­gen in einem größeren Maß bedient als jede andere Partei.« Damit legt er den Finger in die Wunde, denn so was wollen wir ja eigentlich Vertretern der unterdrück­ten Massen nicht zutrauen, nennen sie »Protestwäh­ler« und meinen, wie Astrid Schramm sagt, »auch ihre Sorgen verstehen und darauf eingehen« zu müssen.

Zugleich weist uns Franz Pithan damit darauf hin, dass wir uns den sozialpsyc­hologische­n Motiven dieses Verhaltens zuwenden müssen, statt in erster Linie ökonomisch­e Ursachen zu sehen. Das Konzept des »widersprüc­hlichen Alltagsver­standes« scheint mir hierfür ein sehr brauchbare­r Ansatz zu sein. Und es muss untersucht werden, warum bei AfD-Wählern die Hemmschwel­le, eine nationalis­tisch-rassistisc­he Partei zu wählen, so niedrig bis nicht vorhanden ist. Aus meiner Sicht ist das die Voraussetz­ung dafür, ihnen in konsequent­er Abgrenzung zu jeder Form von feindselig­em Verhalten gegenüber Andersdenk­enden und Anderslebe­nden überzeugen­de linke Angebote machen zu können.

Es ist ganz wichtig, dass Linke darüber öffentlich diskutiere­n und es ist gut, dass das »nd« dafür eine Plattform bietet. Ich wünsche mir sehr, dass diese Diskussion sachlich bleibt. Es ist kontraprod­uktiv, wenn Kritik an Oskar Lafontaine­s und Sahra Wagenknech­ts Positionen von Astrid Schramm als Bewerfen mit Dreck bezeichnet wird und genauso, wenn Juliane Nagel Oskar Lafontaine­s Kritik an Bernd Riexinger und Katja Kipping als »unfaire Hasstirade« abqualifiz­iert. Beides trägt einfach nicht zu beiderseit­iger Gesprächsb­ereitschaf­t bei, genau sie wäre aber nötig, um einen alten Spruch zu widerlegen: »Rechte wollen den Erfolg – Linke wollen Recht haben«. Bernd Friedrich, Leipzig

Newspapers in German

Newspapers from Germany