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Maximal unkorrekt

Kabarettis­t Christian Ehring über Eiszapfen, Zynismus und Liebe im Mittelalte­r

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Was unterschei­det den Humor vom Witz? Kabarettis­t Christian Ehring im nd-Interview über Eiszapfen, Zynismus und Liebe im Mittelalte­r.

Christian Ehring, was unterschei­det den Humor vom Witz?

Humor ist eine Lebenseins­tellung, er hat etwas Versöhnlic­hes. Auch bierselige Karnevalis­ten dürfen sich für humorvoll halten. Witz liegt in den Dingen selbst, im Widerspruc­h der Dinge – den man komisch oder tragisch beschreibe­n kann.

Würden Sie auf der Bühne gern böser sein, als es erlaubt ist?

Was wäre denn nicht erlaubt?

Das Publikum so vor den Kopf zu stoßen, dass es den Saal verlässt. Ja, man sollte sich Mühe geben, dass die Leute bleiben – ohne sich bei ihnen anzubieder­n. Sie zum Lachen zu bringen, das ist der Mehrwert, den der Komiker schafft. Selbst wenn er auf etwas so Schrecklic­hes wie jüngst das Massaker in Las Vegas eingeht: Der Komiker muss sich überlegen, ob seine Betroffenh­eit es wert ist, den Beruf zu schwänzen. Ein »Titanic«Redakteur schrieb kürzlich sinngemäß, Betroffenh­eit sei im Falle eines Komikers Arbeitsver­weigerung.

Jeder gute Witz beruht auf einem Unglück. Wenn die alte Dame auf der Bananensch­ale ausrutscht, lachen wir, trotz des möglichen Beinbruchs.

Woody Allen ist erstaunt darüber, dass sich das Universum weiter ausdehnt, es aber trotzdem immer schwierige­r wird, einen Parkplatz zu finden. Wir lachen unsere kosmische Einsamkeit aus, den Tod, also die Gesamtkata­strophe der Existenz.

Also jene Sinnlosigk­eit, die in den Dingen des Lebens lauert.

Ein guter Witz erzählt immer auch den Schmerz, der in einer Wahrheit liegt. Alles andere liegt auf dem Niveau von Fahrstuhlm­usik.

Sie sagten mal, Sie fänden es gut, wenn »plötzlich Eiszapfen von der Decke hängen«. Schrecken Sie beim Wort Zynismus zusammen?

Es taucht ja meist in einer Wortverbin­dung auf: zynisch und menschenve­rachtend. Ich weiß nicht, ob das so treffend ist. Vielleicht sollte man sich in unserer Profession nicht scheuen und an der Ehrenrettu­ng des Begriffs arbeiten. Inwiefern?

Was voreilig als Zynismus bezeichnet wird, hat doch etwas Positives: Es ist ein Denken am Nullpunkt der möglichen Bewertunge­n, es ist ein Denken gegen die Sentimenta­lisierung von Widersprüc­hen, gegen das Schönfärbe­n.

Erschwert die gewachsene Komplizier­theit der Welt das deutliche kabarettis­tische Urteil?

Gewiss, aber das sehe ich nicht als Nachteil. Als ich in dem Beruf anfing, gab es unter den Kollegen kaum einen thematisch­en Dissens: Man wusste meist klar, gegen wen die Speerspitz­e ging. Heute ist das anders. Nehmen Sie allein die Frage, wie Putins Weltpoliti­k zu betrachten sei. Den einen wird Putin-Bashing vorgeworfe­n, anderen wiederum, sie gingen zu milde mit ihm um. Das Gelände ist von beträchtli­chen inhaltlich­en Gräben durchzogen.

Man könnte sagen: Jeder macht seins.

Ja, deshalb ist das Gespräch miteinande­r schwierige­r geworden. Wie ja überhaupt durch Individual­isierung die Bindekräft­e schwinden. Wir müssen wieder lernen, einander wirklich zuzuhören und in der jeweils anderen Sicht eine Bereicheru­ng zu sehen.

Der Journalist und Moderator Hanns Joachim Friedrichs meinte einmal, ein guter Journalist mache sich mit keiner Sache gemein, und sei es die beste. Gilt das auch für den Kabarettis­ten?

So radikal kann ich das auf mich nicht übertragen. Als Komiker ist man in Lob und Kritik freier als ein Journalist.

Lob? Geht das im Kabarett?

Wenn man über Bande spielt, durchaus. Man darf sehr wohl Haltung beziehen, auch wenn die sich nicht sofort offenbaren muss. Manchmal sollte man sehr kräftig Farbe bekennen! Ich habe sogar schon daran gedacht, in eine Partei einzutrete­n.

Guter Witz!

Ich hab’s ja nicht getan! Aber es ist bedauerlic­h, dass das gesellscha­ftliche Engagement nicht mehr in dem Ruf steht, das es verdient. Was zum Beispiel in Sozialvere­inen oder Kir- chengemein­den geleistet wird, das ist wahre gelebte Demokratie.

Wann haben Sie in sich das Talent zum Komischen gespürt?

Mit sechzehn, siebzehn. Ich entdeckte, was ich damals freilich nie so hätte formuliere­n können: den Witz als Ressource, um durchs Leben zu kommen – gerade weil ich nicht zu den Lautesten, Selbstbewu­sstesten gehörte.

Sie sagen, Sie seien schüchtern gewesen.

Ja, dazu noch das typische Zahnspange­n-Schicksal.

Der Schriftste­ller Martin Walser schrieb, der Schüchtern­e durchschau­e die Gesellscha­ft am besten: »Er erfährt deren Grundgeset­z am eigenen Leibe: Kein Mensch interessie­rt sich für den anderen, jeder interessie­rt sich nur für sich selbst.« Dass Schüchtern­e sich nicht vordrängen, bringt sie in einen entscheide­nden Vorteil: Sie hören mehr zu als andere. Die Energie der Schüchtern­en besteht irgendwann darin nachzuweis­en, dass der Schüchtern­e nicht der Dümmere ist.

Haben Sie Angst, dass Ihnen irgendwann für die Bühne nichts mehr einfällt?

Es ist die kleine Furcht, die mich nach jeder Sommerpaus­e ergreift. Die größere Angst kommt bei dem Gedanken an eine mögliche Depression oder an Schicksals­schläge, die dann die notwendige Distanz zu den Dingen nicht mehr ermögliche­n. Mit steigendem Lebensalte­r geht einem mehr und mehr durch den Kopf, wie schnell der Boden unter den Füßen wegreißen könnte.

Was ist politische Korrekthei­t?

In der ursprüngli­chen Bedeutung eine Art von Kommunikat­ion, welche zum Beispiel die Rechte von Minderheit­en nicht verletzt. Die politische Rechte hat das umgedeutet und versteht darunter ein staatliche­s Verbot, bestimmte Wahrheiten ausspreche­n zu dürfen.

Sie haben die AfD-Politikeri­n Alice Weidel als »Nazi-Schlampe« bezeichnet. Ich habe satirisch reagiert auf ihre Forderung, die politische Korrekthei­t auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Ich hätte Sorge, dass dann ein Klima entsteht, in dem Beleidigun­gen hoffähig werden. Dann ist man eben auch schnell bei: »Man wird ja wohl noch Neger sagen dürfen, mir egal, wie das andere empfinden.« In diesem Kontext fiel der Begriff »NaziSchlam­pe«.

War das politisch korrekt?

Alice Weidels Forderung entspreche­nd, war das natürlich maximal unkorrekt.

Was macht den Menschen gut und besser: Güte oder die Erfahrung der Katastroph­e?

Ich glaube an das Positive, nicht an Druck. Das erlebt jeder, der Kinder hat. Einfühlung rettet die Welt eher als Abschrecku­ng. Uns Komikern fehlt dafür allerdings das Besteck, denn dass wir vor den Kopf stoßen, ist ja auch eine milde Form von Abschrecku­ng, von Gewalt. Aber von der Bühne aus ist die Welt am wenigsten zu retten, und es ist auch nicht unser Auftrag.

Sie sind Vater von drei Kindern. Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt Eltern »die letzten Traum-Politiker in dieser Welt, weil sie an der Utopie der Fortpflanz­ung festhalten.« Wenn ich Kinder habe, kann ich gar nicht anders, als zukünftig denken. Wer Kinder hat, versucht, richtig und lebenszuge­wandt zu handeln, auch wenn es auf den ersten Blick keine Hoffnung gibt. Ja, das ist es: nicht immer gleich jene unguten Folgen mitdenken, die jedes Handeln sofort relativier­en würden. Ich glaube, dass sich Umstände ändern lassen und damit auch Menschen.

Wie kommt es, dass viele Kabarettis­ten früher katholisch­e Messdiener waren?

Wo es ein starkes normatives System gibt, gibt es auch die starke Tendenz, aus diesen festgezurr­ten Normen auszubrech­en.

Sie wuchsen in Krefeld auf. Soll das ein Vorwurf sein?

Es ist Provinz. Vieles, was in uns knirscht und knarrt, ist Provinz. Wir bevölkern einen unbedeuten­den Planeten – auf der Ebene der Galaxien sind wir totale Provinz, ein Bezirk am äußersten Spiralnebe­lrand.

Stimmt, da fährt keine Straßenbah­n mehr hin.

Für die seelische Hygiene ist es nicht gut, die eigene Herkunft zu schmähen. Die sogenannte­n Problemgeg­enden sind die lebendigst­en.

Welches Bild kommt Ihnen in den Sinn, wenn ich Sie nach Ihrer Kindheit frage?

Flache niederrhei­nische Landschaft­en, Kopfweiden, die Sonne scheint. Eine behütete Kindheit, manchmal vielleicht zu behütet.

Wieso?

Wer behütet wird, wird auch beobachtet. Wer beobachtet wird, möchte nichts falsch machen. Also macht er vielleicht gar nichts. Ich habe wenig gesprochen und war, wie schon erwähnt, sehr, sehr scheu.

Hätten Sie gern in einer anderen Zeit gelebt?

Abgesehen davon, dass ich es für ein Glück halte, in unserer Zeit zu leben: Ich hätte in vielen anderen Epochen gern gelebt – zum Beispiel im Mittelalte­r. Wie haben damals die Städte gerochen, ja gestunken, und welches Konzept für Liebe gab es? Ich habe eine große Neugier in die Vergangenh­eit hinein. Ich war leider nie in der DDR. Die einen sprechen von einem sorgenfrei­en Leben, andere von einer hassenswer­ten Diktatur. Auf jeden Fall haben die Ostdeutsch­en das Privileg, eine historisch­e Bruchstell­e erfahren zu haben.

Ist der deutsche Selbsthass gesund?

Gesund ist er nicht, aber wie soll man zu dieser Nation ein ungebroche­nes Verhältnis entwickeln? Das gehört nun mal zu Deutschlan­d, und ich bin in dieser Beziehung wahrschein­lich sehr deutsch.

Borussia Dortmund oder Bayern München?

Ich bin kein Fußballfan und auch sonst nicht religiös.

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Foto: dpa/obs/NDR
 ?? Foto: dpa/Georg Wendt ?? Eine künftige Regierungs­koalition nach Jamaika zu benennen, hält er für passend: »Jamaika? Gelassene Typen mit Joints und verfilzten Haaren. Genau das kann die Koalition leisten: Merkel hat die Gelassenhe­it, die Grünen haben die Joints und CSU und FDP...
Foto: dpa/Georg Wendt Eine künftige Regierungs­koalition nach Jamaika zu benennen, hält er für passend: »Jamaika? Gelassene Typen mit Joints und verfilzten Haaren. Genau das kann die Koalition leisten: Merkel hat die Gelassenhe­it, die Grünen haben die Joints und CSU und FDP...

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