nd.DerTag

Wer spricht für das Volk?

Das Bündnis »Mehr Demokratie« fordert den bundesweit­en Volksentsc­heid. Eine Gefahr fürs Parlament?

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In Österreich fordern Hans-Christian Strache und die FPÖ den Volksentsc­heid, in Deutschlan­d die AfD und Björn Höcke. Frau Händel, Sie haben gestern vor dem Bundestag dafür demonstrie­rt, dass der Volksentsc­heid in den Koalitions­vertrag einer möglichen Regierung aus Union, Grünen und FDP aufgenomme­n wird. Warum haben Sie mit ihrem Anliegen Recht?

Wir haben uns sehr gut überlegt, wie ein Volksentsc­heid gestaltet sein muss, damit er die Gesellscha­ft positiv bestärkt. Die direkte Demokratie kann gerade in Zeiten, in denen Menschen sich von der Politik entfernen, eine Brücke sein, um die Bürger wieder zu integriere­n.

Wie erklären Sie sich diese Gemeinsamk­eit zwischen Rechtspopu­listen und ihrer Demokratie­bewegung? Die Rechtspopu­listen wollen die direkte Demokratie nutzen, um gegen die Systempart­eien, wie sie sie nennen, das Volk in Stellung zu bringen. Und da sieht man, dass da ein ganz anderes Demokratie­verständni­s dahinterst­eckt, nämlich, dass es einen homogenen Volkswille­n gibt, den man immer in Stellung bringen, immer abrufen kann.

Was Sie ganz anders sehen ...

Wir leben in einer differenzi­erten Gesellscha­ft, jede Debatte um ein Volksbegeh­ren müsste neu geführt werden und erst dann wird sichtbar, wo die Mehrheit der Menschen steht. Wir glauben, dass die direkte Demokratie ein offener und gestaltbar­er Prozess mit offenem Ende ist. Mit diesem Anspruch möchten wir Volksentsc­heide in das politische System integriere­n.

Ein Volksentsc­heid, bei dem die Bürger stumm ihre Stimme abgeben, soll die richtige Methode sein, um die Vielfalt der Bevölkerun­g abzubilden?

Uns geht es ja auch um den Prozess vor der Abstimmung. In dieser Zeit können alle politische­n und zivilgesel­lschaftlic­hen Akteure mit ihrer Position in die Öffentlich­keit treten. Gerade jetzt, wo erstmals eine rechte Partei zweistelli­g in den Bundestag gelangt ist, ist es doch fahrlässig, dass Sie ein Instrument etablieren wollen, dass Bürger und Parlament gegeneinan­der in Stellung bringt.

Im Gegenteil, wir wollen Parlament und Bürger miteinande­r ins Gespräch bringen! Und dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt, weil wir sehen, dass wir das System, so wie es ist, nicht lassen können. Es gibt ganz viel Unzufriede­nheit, die sich momentan nicht produktiv kanalisier­en lässt.

Das Parlament fächert Streitigke­iten auf und bildet Synthesen aus duzenden Positionen. Volksentsc­heide stutzen Problem auf die einfache Frage von Ja oder Nein zurecht.

Wichtig ist doch, wie wir zu der Fragestell­ung gelangen, die dann in einem Volksbegeh­ren mit Ja oder Nein beantworte­t wird. Und da müssen die Bürger genau so wie das Parlament verschiede­ne Interessen in Einklang bringen. Ein Volksbegeh­ren hätte keine Chance, eine Mehrheit zu bekommen, wenn es nicht selbst schon vielfältig­e gesellscha­ftliche Interessen aufnimmt.

Die Öffentlich­keit ist von sozialen Medien wie Facebook korrumpier­t worden. Nur deswegen war es möglich, dass Donald Trump in den USA zum Präsidente­n gewählt wird. Wo sollen Bürger denn Themen so ausgeruht diskutiere­n, wie Abgeordnet­e es in Parlaments­ausschüsse­n? Jedes Volksbegeh­ren ist eine bildungspo­litische Großverans­taltung. Selbst sperrige Themen werden so breit und intensiv diskutiert: zu Hause, am Arbeitspla­tz, auf den Straßen und Plätzen.

Warum werben Sie nicht für Bürgerräte, deren Mitglieder nach dem Zufallspri­nzip ausgewählt werden? Ein solcher Rat hat in Island ja einen neuen Verfassung­sentwurf erarbeitet.

Wir finden die Idee gut, aber es gibt einen Haken. Nur wenige Bürgern können sich einzubring­en. Die direkte Demokratie ist die einzige Möglichkei­t, wirklich jeden Bürger anzusprech­en und zu verbindlic­hen Entscheidu­ngen zu kommen.

In der Schweiz hat die rechtspopu­listische SVP seit den 1990er Jahren durch Volksbegeh­ren die Agenda weit nach rechts verschoben. Vor zwei Jahren gewann die SVP die Parlaments­wahlen. Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Die Schweiz ist nur teilweise Vorbild. Sie hat die direkte Demokratie integriert, aber keinen Grundrecht­sschutz dazu gedacht. Das wollen wir in Deutschlan­d anders machen. Hier soll das Verfassung­sgericht eine starke Rolle spielen. Es würde den Vorschlag einer Volksiniti­ative überprüfen, bevor das Begehren gestartet wird. So können wir früh Initiative­n stoppen, die Grund- und Minderheit­enrechte verletzen.

Eine Handvoll Juristen – nur indirekt durch einen Wahlaussch­uss le- gitimiert – missachtet die Stimme des Volkes. So würde die Legende lauten, wenn das Verfassung­sgericht ein Volksbegeh­ren ablehnt. Nein, keine Volksiniti­ative hat das Recht, für das Volk zu sprechen. Nur der Volksentsc­heid, also wenn es zur Abstimmung gekommen ist, ist aussagekrä­ftig, weil dann die Bevölkerun­g gesprochen hat.

Das Volk – wer ist das?

Das Volk sind die Leute, die zur Abstimmung gegangen sind. Sie haben sich gesagt, dass ihnen das Thema wichtig genug ist, dass sie ihre Meinung gehört wissen wollen.

Also stellt Ihrer Auffassung nach die Mehrheitse­ntscheidun­g die Stimme des Volkes dar?

Ja, aber das heißt natürlich nicht, dass es die Wahrheit ist, die dort geäußert wird. Aber sie ist in dem Moment der aggregiert­e Wille der Bevölkerun­g, die sich bei diesem Thema gehört sehen möchte. Auch nicht jede parlamenta­rischen Entschei- dung spiegelt unbedingt den Mehrheitsw­illen des Volkes.

Das Parlament missachtet den Willen des Volkes? Selbstvers­tändlich nicht generell, aber es kann vorkommen. Deswegen muss die Bevölkerun­g die Chance haben, einzuhaken und zu sagen: Nein, hier geht Politik in eine ganz andere Richtung, als wir es uns gedacht haben, als wir den Bundestag wählten.

Sie nehmen also in Kauf, dass in Zukunft über Merkels Flüchtling­spolitik in einem Volksbegeh­ren abgestimmt wird?

Ja. Aber dafür muss erst mal ein Vorschlag gemacht werden, der auf dem Boden des Grundgeset­zes steht. Das wäre spannend. Dann würde klar, dass man eine Obergrenze gar nicht umsetzen kann.

Ziemlich risikofreu­dig.

Es braucht mutige Schritte, um die Demokratie wieder auf festen Boden zu stellen.

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Foto: dpa/ M. Assanimogh­addam Wutbürger warfen Tomaten, um Gehör zu finden. Bald könnten sie Volksbegeh­ren anstrengen.
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Foto: Mehr Demokratie e.V. Sarah Händel ist Mitglied im Bundesvors­tand von »Mehr Demokratie«. Am Mittwoch hat der Verein vor dem Bundestag für den bundesweit­en Volksentsc­heid demonstrie­rt. Er will Druck auf die Sondierung­sgespräche von CDU, FDP und Grünen ausüben, die gerade für...

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