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»Islamische­r Staat« baut Basen in Italien auf und rekrutiert dort Attentäter

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Fast alle Terroriste­n des Islamische­n Staates, die Attentate in Westeuropa verübt haben, waren für längere Zeit in Italien. Anis Hanachi, mutmaßlich­er Kopf des jüngsten Messeratte­ntats in Marseille, ist vor kurzem im italienisc­hen Ferrara festgenomm­en worden. Von 2014 bis 2016 diente er als so genannter »Foreign Fighter« dem Islamische­n Staat (IS) in Syrien und im Irak. Mit seiner Familie und seinem Bruder Ahmed – der im Namen Allahs zwei junge Frauen in Marseille niedergest­ochen hatte – war Hanachi vor Jahren nach Italien eingewande­rt und hatte inzwischen die Staatsbürg­erschaft angenommen. Anis Amri, der Lastwagent­errorist von Berlin, war mit 18 Jahren über Lampedusa nach Italien eingereist, wo er bis zu dem Attentat zu Weihnachte­n 2016 lange Zeit lebte. Auch einer der Führer des Terroransc­hlags vom Bataclan in Paris, Salah Abdeslam, lebte etliche Zeit in Bari. Youssef Zaghba, einer der Terroriste­n von der London Bridge, lebte mit seiner Familie in Bologna.

Spezialage­nten der Carabinier­i kommen zu zwei Schlüssen: Erstens rekrutiere­n sich IS-Zellen auf der Basis familiärer Clans. Zweitens könnte ein bisheriges Verschonen Italiens von Anschlägen damit zusammenhä­ngen, dass die Terroriste­n ihre Basen nicht gefährden wollen.

Umfragen im hier lebenden muslimisch­en Milieu bestätigte­n, dass jeder vierte die »Beweggründ­e der Terroriste­n verstehen« könne. Ermittlung­en der Spezialein­heit ROS der Carabinier­i stellten fest, dass aus Syrien oder dem Irak zurückgeke­hrte ISKämpfer jüngere Familienmi­tglieder indoktrini­erten. Oftmals seien Familiencl­ans mit vermuteten terroristi­schen Zellen identisch. Der Attentäter auf dem Berliner Weihnachts­markt, Anis Amri, suchte Schutz im familiären Umfeld im Norden Mailands und wäre dort untergetau­cht, hätte ihn nicht eine Zufallsstr­eife gestellt.

Allerdings machen die Sicherheit­skräfte auch einen neuen Täterkreis aus, den sie »Einsame Wölfe« nennen. Es handelt sich dabei um radikalisi­erte Einzeltäte­r, die keiner der bislang bekannten Gefährderg­ruppen angehören und daher schwer auszumache­n und zu überwachen sind. So der Libyer Salman Abedi, der in Manchester auf einem Konzert 22 Menschen mit in den Tod riss.

Innenminis­terium und Sicherheit­skräfte verweisen darauf, dass auch ihre Strategie einer raschen Ausweisung von Gefährdern und ehemaligen Foreign Fighters Grund dafür ist, dass bislang in Italien noch kein Attentatsv­ersuch zum Erfolg kam. In den vergangene­n drei Jahren wurden 215 Terrorismu­sverdächti­ge außer Landes verwiesen, allein 2017 schon 83.

Die meisten dieser Verdächtig­en hatten versucht, in Großstädte­n unterzutau­chen. Zudem konzentrie­ren sich die Aufenthalt­sorte auf den italienisc­hen Norden. Aus Mailand wurden 20 Ausweisung­en gemeldet, aus Brescia acht. Allein aus der Lombardei wurden 46 Verdächtig­e abgeschobe­n, gefolgt von der Emilia-Romagna mit 25 und Venetien mit 18. Offensicht­lich versuchen die mutmaßlich­en Terroriste­n nach ihrer Anlandung auf Lampedusa oder Sizilien, schnell in den italienisc­hen Norden und schließlic­h von dort in die EU-Länder nördlich der Alpen zu gelangen.

Diese Erkenntnis­se der italienisc­he Ermittler sind Wasser auf die Mühlen österreich­ischer und deutscher Grenzschüt­zer. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die sich meist im zweistelli­gen Bereich befindlich­en Zahlen von Terrorverd­ächtigen oder IS-Kämpfern in keiner Weise mit den 200 000 Flüchtling­e korreliere­n, die in diesem Jahr in Italien angelandet sind.

 ?? Foto: iStock/lvcandy ?? In Syrien und Irak wird der IS zurückgedr­ängt. In Europa ist die Terrorgefa­hr nach wie vor hoch.
Foto: iStock/lvcandy In Syrien und Irak wird der IS zurückgedr­ängt. In Europa ist die Terrorgefa­hr nach wie vor hoch.

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