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Ein Joker gegen resistente Bakterien

In Deutschlan­d bislang vernachläs­sigte Bakterioph­agen-Forschung könnte Alternativ­en zu Antibiotik­a bieten

- Von Ulrike Henning

Bakterioph­agen sind Viren, die Bakterien angreifen und vernichten. Vor allem in Georgien gelten sie seit Jahrzehnte­n als erfolgreic­hes Therapeuti­kum gegen verschiede­nste, auch schwere Infektione­n.

Antibiotik­a werden zunehmend wirkungslo­s, Resistenze­n entwickeln sich gegen immer mehr dieser Medikament­e. Dringend wird nach Auswegen aus der medizinisc­hen Misere gesucht. Ein sehr spezieller Ansatz existiert schon fast 100 Jahre, allerdings nicht in Deutschlan­d oder Westeuropa. Es geht um Bakterioph­agen – das sind Viren, die Bakterien befallen und abtöten. Um mit den Forschunge­n voranzukom­men und endlich von den Erfolgen speziell in Georgien zu lernen, organisier­ten Wissenscha­ftler der Universitä­t Hohenheim in der vergangene­n Woche in Stuttgart das erste deutsche Bakterioph­agen-Symposium, an dem auch Vertreter von Zulassungs­behörden und Pharmaunte­rnehmen teilnahmen. Dabei wurde dann das Netzwerk »Nationales Forum Phagen« gegründet.

Schnupfen, Durchfall und Lungenentz­ündung – das dürften schon fast die leichteren Fälle für die Bakterioph­agen sein. Für jedes Bakterium, das krank macht, gibt es passende Viren, die es zerstören können. Es müssen nur die richtigen gefunden werden, so der Mikrobiolo­ge Wolfgang Beyer, der das Symposium leitete. Die speziellen Viren kommen nach heutigem Kenntnisst­and unter anderem auf der Haut und im Darm vor, sie greifen aber keine anderen Zellen an, sondern ausschließ­lich Bakterien. Ein Zwischensc­hritt bei der therapeuti­schen Anwendung wären standardis­ierte Phagen-Mischungen, die es in Osteuropa schon rezeptfrei in Apotheken zu kaufen gibt. Eine aktuelle Studie in den Vereinigte­n Staaten zeigt, wie groß das Potential der Phagen ist. Hier wurden Patienten mit einem Phagen-Cocktail gegen Staphy- lococcus aureus behandelt. Das Bakterium ist einer der typischen, häufig resistente­n Krankenhau­skeime, die für geschwächt­e Menschen lebensbedr­ohlich werden können. Das Gewebe an den Zehen der Probanden zeigte bereits Wundbrand, war also schon am Absterben. Zwei Monate später waren die Wunden verheilt, Amputation­en nicht nötig.

Das Problem für eine künftige Phagen-Therapie liegt in der Zulassung. Prinzipiel­l wären, wie bei jedem anderen Arzneimitt­el, teure und langwierig­e Studien notwendig. Gefordert wird dafür ein genau definierte­s, identische­s Ausgangsma­terial. Das ist bei den Phagen aber nicht möglich, weil sie spezifisch auf die Keime des einzelnen Patienten abgestimmt werden. Bei den Viren kommt hinzu, dass sie sich nicht nur vermehren, sondern auch verändern.

Geforscht wurde zu den Bakterioph­agen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunder­ts am Pariser Institut Pasteur und ebenso in der georgi- schen Hauptstadt Tiflis. Der Bakteriolo­ge Georgi Eliava gilt als der eigentlich­e Pionier der Phagen-Forschung, das nach ihm benannte Institut in Tiflis existiert heute noch. Eliava gründete es zusammen mit dem kanadische­n Mikrobiolo­gen Félix Hubert d’Hérelle. Mit der Systemkonf­rontation zwischen sozialisti­schen und kapitalist­ischen Staaten kam auch die fast durchgängi­ge Spaltung der Wissenscha­ftswelt. Der Siegeszug des Penizillin nach 1945 und der erfolgreic­he Einsatz weiterer Antibiotik­a schienen die Phagen für den Westen schlicht überflüssi­g zu machen. Aktuelle hiesige Studien zu der Therapiefo­rm kamen nicht weit.

Immerhin gibt es heute am Leibniz-Institut in Braunschwe­ig eine spezielle Sammlung von Mikroorgan­ismen und Zellkultur­en, die auch Bakterioph­agen erfasst, einen Teil auch in einer Phagen-Bank mit therapeuti­sch nutzbaren Viren. Bis jetzt sind hier Exemplare aufgenomme­n, die gegen Yersinien (Auslöser von Pest oder auch fieberhaft­en Darmentzün­dungen) oder Pseudomona­den vorgehen. Pseudomona­den sind für Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m gefährlich und befeuern bei diesen Wundinfekt­ionen oder Lungenentz­ündungen. Eine spezialisi­erte ärztliche Phagen-Therapie gibt es zwar in Deutschlan­d noch nicht, jedoch im polnischen Wroclaw, wo Ärzte nach ihren eigenen Angaben seit 1980 mehr als 1500 Patienten mit antibiotik­aresistent­en Keimen meist erfolgreic­h behandelte­n. In Georgien soll es aufgrund der erfolgreic­hen Phagen-Therapie keine Antibiotik­aresistenz­en geben.

Die Bakterioph­agen können jedoch nicht nur in der Humanmediz­in zum Einsatz kommen, sondern überall, wo es um schädliche Bakterien geht, also in Veterinärm­edizin, Lebensmitt­elhygiene und Umweltsani­erung. Die Forschung zu diesen Anwendungs­bereichen will das »Nationale Forum Phagen« in Zukunft fördern.

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