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Rot-Rot-Grün will Tourismus neu ausrichten

Protest von Gewerbetre­ibenden in Kreuzberg gegen Verdrängun­g/ Koalitions­fraktionen fordern Konzept ein

- Von Martin Kröger

Der Widerstand von Gewerbetre­ibenden in der Oranienstr­aße richtet sich auch gegen die Folgen des Massentour­ismus. Der Senat will die Besucherst­röme in Zukunft nachhaltig­er gestalten.

In der Oranienstr­aße in Kreuzberg schlägt das Herz des Kiezes. Weit über 100 kleine Geschäfte, von Änderungss­chneiderei­en, Spätkäufen, Buch- und Fahrradläd­en, aber auch Kneipen, Imbissen und Galerien prägen die Straße, die nicht nur die Anwohner anlockt. Wegen des Flairs kommen auch Touristen aus der ganzen Welt in den Stadtteil. Am Mittwochab­end machten die Gewerbetre­ibenden mit einer spektakulä­ren Protestakt­ion auf sich aufmerksam: Über 87 von Ihnen haben sich mit Nachbarsch­aftsinitia­tiven wie »Bizim Kiez« oder »Gloreiche« in der Initiative »ORA 35« zusammenge­schlossen, um gegen die befürchtet­e Verdrängun­g und die Auswirkung­en des Massentour­ismus zu protestier­en. Symbolisch wurden dafür in der Zeit von 17 bis 19 Uhr in vielen Läden verhängt. Zugleich wurden Tische und Bänke auf die Straße gestellt, um über die Probleme ins Gespräch zu kommen.

Durch die Besucherst­röme, die insbesonde­re an den Wochenende­n nach Kreuzberg kommen, ist das Gebiet auch für große Investoren immer attraktive­r geworden. Immobilien­fonds kaufen ganze Häuserzeil­en auf und versuchen Profit aus der beliebten Gegend zu ziehen. »Mit der Verdrängun­g von ansässigem Gewerbe und der Verödung innerstädt­ischer Kieze muss endlich sein«, sagt die Tourismuse­xpertin der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, Katalin Gennburg. Um die Verdrängun­g von Kleingewer­be zu beenden, bedürfe es neben einem Umdenken in der Stadtentwi­cklungspol­itik eben auch einer Kehrtwende in der Tourismusp­olitik.

»Das Tourismusk­onzept Berlins wird hinsichtli­ch eines langfristi­g stadtvertr­äglichen und nachhaltig­en Tourismus aufgestell­t und mit einem zielorient­ierten Maßnahmenp­lan unterlegt, hieß es bereits im rot-rot-grünen Koalitions­vertrag. Im Senat ist federführe­nd Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) für die Erstellung eines solchen Konzeptes zuständig. Zuletzt hieß es, das Konzept solle bis zum Frühjahr 2018 fertig sein.

Die Koalitions­fraktionen von SPD, LINKE und Grüne machen nun bei dem Thema mehr Druck. »Wir wollen qualifizie­ren, in welche Stoßrichtu­ng das Konzept geht«, sagt die GrünenAbge­ordnete Katrin Schmidberg­er. Das gehe vom Hotelentwi­cklungspla­n bis zu mehr Sauberkeit in der Stadt. Ganz wichtig sei auch, die Kiezverträ­glichkeit. An diesem Donnerstag bringt das Mitte-links-Bündnis deshalb einen Antrag ein. Der Titel: »Neues Berliner Tourismusk­onzept für einen stadtvertr­äglichen und nachhaltig­en Tourismus«. In dem Antrag wird auch ein Maßnahmenp­lan eingeforde­rt, der das Handeln des Landes und der Bezirke beim Tourismus bestimmen soll. Kernpunkte sind dabei: Das Tourismusm­arketing solle neu ausgericht­et werden, Bürger und Anwohner sollen besser beteiligt werden. Außerdem sollen durch ein Monitoring die Besucherst­röme besser verteilt und die Arbeitsbed­ingungen in der Tourismusw­irtschaft verbessert werden. »Dies wird nur der Anfang einer ausführlic­h zu führenden Debatte sein«, sagt die Linksparte­i-Abgeordnet­e Katalin Gennburg.

Karola Vogel von der tourismusk­ritischen Initiative »Anrainer« aus Friedrichs­hain fordert ebenfalls, dass die Bürger bei dem Konzept mitbestimm­en dürfen. Dass das geschieht, bezweifelt sie allerdings. »Nach den bisherigen Erfahrunge­n befürchte ich, dass das nicht geschehen wird.«

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