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Die Zeitbombe Jan G. ging hoch

Anwalt Diestel wünscht Aufklärung über Behördenve­rsagen im Fall des Dreifachmö­rders

- Von Andreas Fritsche

Die Bluttat des schizophre­nen Jan G. hätte verhindert werden können. Doch generell ist die Justiz hinterher immer schlauer.

»Am Kopf war eine Blutlache.« Am Mittwoch schilderte im Landgerich­t Frankfurt (Oder) ein Rettungssa­nitäter, wie die Einsatzkrä­fte am 28. Februar 2017 die Großmutter des Angeklagte­n in ihrem Haus in Müllrose gefunden haben.

Jan G. wird beschuldig­t, seine Großmutter erstochen und auf der Flucht bei Oegeln zwei Polizisten totgefahre­n zu haben. Dazu hätte es nicht kommen müssen, ist Rechtsanwa­lt Peter-Michael Diestel überzeugt. Er vertritt die Mutter des Angeklagte­n und wirft den Behörden massives Versagen und verantwort­ungslose Gleichgült­igkeit vor. »Das muss analysiert werden, das muss herausgear­beitet werden«, sagte Diestel zum Prozessauf­takt am Dienstag im rbb-Inforadio. Die Mutter habe sich an Betreuer des psychisch kranken Sohnes gewandt und an Gerichte, habe immer wieder über die Ge- fahr informiert, die von Jan G. ausgehe. »Was kann man denn noch machen, als vor einer solchen Zeitbombe zu warnen?«

Schon zuvor hatte die Mutter in einem Interview der »Märkischen Oderzeitun­g« (MOZ) erzählt: »Er hat mehrmals gedroht, er werde die Familie ausrotten, und wer dabei noch draufgeht, das sei ihm völlig egal. Wenn wir die Polizei geholt haben, baute er sich wie ein Gorilla auf und warnte: ›Wenn du mich noch mal anzeigst, bist du tot.‹« Die Familie habe gegen Windmühlen gekämpft.

Der Landtagsab­geordnete Volkmar Schöneburg (LINKE) kann dagegen nach eigenem Bekunden »gravierend­e Fehler« der Behörden nicht erkennen. Zwar war Jan G. wegen Drogenmiss­brauchs, Fahrens ohne Führersche­in und Raubs früher schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und das Landgerich­t Frankfurt (Oder) hatte 2016 seine Unterbring­ung in der Psychiatri­e angeordnet. Doch ein Gutachter bescheinig­te Jan G., sein Leiden könne ambulant besser therapiert werden, und so kam er zur Bewährung frei. Schöneburg, von Beruf Rechtsanwa­lt und vor seiner Zeit als Politiker als Strafverte­idiger tätig, kann nur bestätigen, dass Schizophre­nie erfahrungs­gemäß ambulant besser zu behandeln sei. Die Krankheit sei durch Medikament­e beherrschb­ar, weiß er. Doch habe sich Jan G. seiner Behandlung entzogen. Hätte hier schneller reagiert werden müssen? Nach Einschätzu­ng von Schöneburg blieb dafür wenig Zeit, denn die Spanne zwischen Therapieve­rweigerung und Bluttat sei vergleichs­weise kurz gewesen.

Nachdem Jan G. freikam, hatte die Großmutter ihn bei sich aufgenomme­n – und bezahlte dafür mit ihrem Leben, an ihrem 79. Geburtstag. Die MOZ berichtete, der Vater sei gestorben, als Jan G. drei Jahre alt war. Kurz darauf sei der Junge vom Vater seiner ältesten Halbschwes­ter sexuell missbrauch­t worden. Offensicht­lich habe er schon lange Gewaltfant­asien gehabt und auch ausgelebt. 2015 habe er seiner Katze das Genick gebrochen und das Tier mit Kerzen aufgebahrt.

Seit seiner Festnahme befindet sich Jan G. nun doch in der geschlosse­nen Psychiatri­e. »Ich kann sagen, dass es mir leid tut«, äußerte er vor Ge- richt. Vermutlich bleibt der Angeklagte für den Rest seines Lebens weggeschlo­ssen. Die Staatsanwa­ltschaft stellte bereits klar, dass sie wahrschein­lich Sicherungs­verwahrung beantragen werde. Die Chancen, dort wieder rauszukomm­en, sind gering.

Bei aufsehener­regenden Bluttaten fällt das Augenmerk hinterher auf die Vorzeichen, denen nicht genug Beachtung geschenkt wurde. Anderersei­ts gibt es ganz sicher Fälle, wo Menschen vorsorglic­h in Sicherungs­verwahrung genommen wurden, die nie wieder einem Menschen ein Leid angetan hätten. Das lässt sich dann allerdings nicht beweisen, sondern nur vermuten. Experten gehen davon aus, dass acht von zehn Sicherungs­verwahrten unnötig eingesperr­t sind. Genau darum ist die Sicherungs­verwahrung eine umstritten­e Maßnahme. Im umgekehrte­n Fall – ein entlassene­r Täter wird erneut gewalttäti­g – ist der bedauerlic­he Irrtum des Gutachters dann sonnenklar und sorgt für Empörung. »Ein Risiko besteht immer«, bedauert Schöneburg. »Gefährlich­keitsprogn­osen weisen eine hohe Fehlerquot­e auf.«

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Foto: dpa/Patrick Pleul Anwalt Peter-Michael Diestel (r.) sitzt im Landgerich­t Frankfurt (Oder).

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