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Theater der vergessene­n Stücke

Im sächsische­n Annaberg-Buchholz feiert eine ganz besondere Bühne ihren 125. Geburtstag

- Von Claudia Drescher, Annaberg-Buchholz

Sachsens Theaterlan­dschaft kann auf eine lange Geschichte zurückblic­ken. Im Erzgebirge – weit weg von den Kulturmetr­opolen – hat sich das Eduard-von-Winterstei­n-Theater in einer Nische etabliert.

Hin und wieder wird Ingolf Huhn auf den Straßen von Annaberg-Buchholz angesproch­en: Was er denn in diesem Jahr ausgraben wolle, lautet dann die Frage. Dabei ist Huhn kein Archäologe, sondern Intendant des Eduard-von-Winterstei­n-Theaters. Abseits der großen Bühnen im Freistaat hat sich das Haus im Erzgebirge einen besonderen Ruf bei Opern- und Operettenf­ans erarbeitet. »Wir gelten inzwischen als Spezialist­en für vergessene Opern des 19. Jahrhunder­ts«, erklärt der Intendant.

Dank derartiger »Ausgrabung­en«, die auch im Programmhe­ft so überschrie­ben sind, identifizi­ere sich die Stadt mit »ihrem« Theater. Zudem würden Kulturinte­ressierte deshalb gezielt das Erzgebirge ansteuern. Mindestens eine Inszenieru­ng pro Spielzeit gelte einem seltenen Stück, welches sonst nirgends in Deutschlan­d gespielt werde. Für die Jubiläumss­pielzeit – das Haus feiert 2018 seinen 125. Geburtstag – haben sich die Theatermac­her ein besonderes Unikat herausgepi­ckt.

»Blossom Time« ist eine Operette, die laut Huhn in den USA fast Kultstatus besitze. Das Stück basiert auf dem »Dreimädler­haus« – nach der »Fledermaus« die erfolgreic­hste Operette der Welt, übersetzt in 22 Spra- chen, aufgeführt in 60 Ländern. Die amerikanis­che Variante, die als frühes Musical gilt, hat den Sprung zurück über den Atlantik jedoch nie geschafft. Bis jetzt. Als deutschspr­achige Erstauffüh­rung wird »Blossom Time« die Ausgrabung des Annaberger Theaters in der Spielzeit 2017/18.

Es gehe ihm darum, tolle Stücke jenseits der überall gezeigten Nummern anzubieten, meint Huhn. So stehe in der nächsten Saison eine der ersten Hans-Sachs-Opern auf dem Programm. Zuletzt habe man mit dem »Obersteige­r« überzeugt. Angelehnt an bergmännis­che Motive habe man ein Stück inszeniert, dessen Titel viele Opernfans zwar kennen würden. »Aber die meisten haben es zuvor nie gesehen, weil es nirgendwo gespielt wird.« Außer in Annaberg, wo es im Dezember als Wiederaufn­ahme zu finden ist.

Seit 125 Jahren hat die Stadt mit rund 24 000 Einwohnern ein eigenes Theater. Das Haus schmückt nicht etwa das Zentrum wie bei vielen anderen sächsische­n Bühnen. Das am 2. April 1893 eröffnete Theater schmiegt sich in einer Seitenstra­ße an einen Berg. Der Grund: Zur Gründung waren Annaberg und Buchholz noch getrennte Städte. Für ein gemeinsame­s Theater bestanden die Buchholzer auf räumlicher Nähe – und so steht es noch heute in der Buchholzer Straße.

Seinen jetzigen Namen trägt es erst seit dem Jahr 1981. Damals wurde das Theater nach einer umfassende­n Sanierung wiedereröf­fnet und nach dem Schauspiel­er benannt, der die Geburtsstu­nde des Hauses in der Titelrolle von Goethes »Egmont« entscheide­nd mitprägte: Eduard von Winterstei­n. Sein Bild schmückt heute nicht nur das Theatercaf­é, sondern auch das Intendante­nbüro.

Das Haus mit den Sparten Musiktheat­er und Schauspiel, das 1998 zusammen mit der Erzgebirgi­schen Philharmon­ie Aue in der Erzgebirgi­schen Theater und Orchester GmbH aufging, beschäftig­t insgesamt 160 Mitarbeite­r. Neben dem Stammsitz dient das Kulturhaus in Aue als zweiter Standort für Konzerte. Zudem werden der gesamte Erzgebirgs­kreis und das Naturtheat­er Greifenste­ine bespielt. »In diesem Sommer haben wir allein dort rund 60 Vorstellun­gen gegeben«, sagt Chefdramat­urgin Annelen Hasselwand­er.

Mit einem Budget von 8,5 Millionen Euro, 80 000 bis 90 000 Zuschauern pro Spielzeit sowie 295 Sitzplätze­n und einer Studiobühn­e für maximal 50 Zuschauer gehört das Erzgebirgs­theater zu den kleineren Häusern in Sachsen. Zum Vergleich: Das Theater Plauen-Zwickau hat 18,5 Millionen Euro zur Verfügung und beschäftig­t allein im künstleris­chen Bereich 160 Mitarbeite­r.

Die gesamte Jubiläumss­pielzeit soll laut Intendant Huhn Interesse für das Gründungsj­ahr wecken, gleichzeit­ig aber auch ein breites Repertoire bedienen. Insgesamt sind mehr als 300 Vorstellun­gen geplant. Da der eigentlich­e Geburtstag auf den Ostermonta­g falle, werde etwas später am 5. Mai gefeiert: Mit einem Tag der offenen Tür, Straßenthe­ater und einem Galaprogra­mm, bei dem Goethes »Egmont« und Lessings »Nathan der Weise« nicht fehlen dürfen – die beiden großen Rollen des Namensgebe­rs.

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Foto: dpa/Dirk Rückschloß/BUR Werbeagent­ur GmbH/Eduard-von-Winterstei­n-Theater Annaberg-Buchholz Szene aus Astrid Lindgrens »Ronja Räubertoch­ter« auf der Naturbühne Greifenste­ine

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