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Die Bestie in uns

Im Kino: »The Square« von Ruben Östlund

- Von Gunnar Decker

Wie schnell es doch geht, ein Denkmal vom Sockel zu stürzen! Der Kran hebt das Reiterstan­dbild aus Bronze nur kurz in die Höhe und lässt es dann zu Boden stürzen, wo es zerbricht. Das war’s mit hundert Jahren Repräsenta­tion. Die Zeiten ändern sich nun mal, bloß nicht sentimenta­l werden. Ein Reiterstan­dbild aus Bronze ist ja auch nicht gerade die große Kunst. Also Platz für das Neue!

Die Bauleute, pardon Künstler, kommen, fräsen eine Markierung in die Steinplatt­en, wo vormals der Reiter nicht vom Fleck kam, genau vier mal vier Meter. Ein Leuchtstre­ifen markiert das magische Quadrat, das, laut Selbstausk­unft des Museums für moderne Kunst, ein geschützte­r Ort der Mitmenschl­ichkeit und Solidaritä­t sein soll. Den Slogan hat eine Werbeagent­ur entworfen.

Der Direktor des Museums heißt Christian (wir sind in Stockholm, Schweden, da hat man bloß Vornamen) und ist ein besonders innovative­r Typ, der um keine Gebrauchsa­nweisung für eines seiner unscheinba­ren Exponate verlegen ist. Gern doziert er darüber, wie ein Alltagsgeg­enstand zu einem Kunstwerk wird. Christian weiß, auf die schlichte Botschaft kommt es an, wenn man etwas verkaufen will. Am Eingang seines Museums muss man sich entscheide­n, rechts geht es dem Wegweiser nach »Ich vertraue meinen Mitmensche­n« und links »Ich vertraue meinen Mitmensche­n nicht«. Das ist zugleich eine Art Abstimmung, denn eine Leuchtschr­iftanzeige sagt uns, wie viele in welche Richtung gingen.

Dann betreten wir die Welt der Installati­onen, der Events, ein Ort, wo Kunst nur noch in Gestalt einer »Kunstaktio­n« anzutreffe­n ist. Christian verkauft pausenlos die Avantgarde – und sich selbst als coolen Typ, der, weil er auch ökologisch in vorderster Front kämpft, natürlich eines dieser sagenhaft teuren Tesla-Elektroaut­os fährt. Wer sagt eigentlich, dass man nicht Millionär, Kommunist und Öko-Aktivist in Personalun­ion sein kann? Wo sind wir hier, in einer Scientolog­y-Filiale, in Orwells »1984« oder in Truffauts »Fahrenheit 451«, dieser überaus gegenwärti­gen Apokalypse-Vision, die sich in der Smartphone-Ära einzulösen scheint?

»The Square« von Ruben Östlund, der die diesjährig­e Goldene Palme in Cannes erhielt, ist ein tief verstörend­er Film, ein Blick in den Spiegel jener Klientel, die sich gern als kulturelle Elite präsentier­t und dabei selbst am wenigsten das besitzt, was sie doch für sich reklamiert: Kultur. Denn die verkauft sie ja ständig.

Der Befund von »The Square« lautet: Es steht schlimm um uns, um eine Gesellscha­ft, die auseinande­rfällt, in diejenigen, die ihre kostspieli­gen Spiele treiben und die anderen, die im Dreck auf der Straße liegen und betteln müssen, damit sie nicht verhungern. Gibt es noch Werte für alle jenseits von Narzissmus und Marketing? Regisseur Östlund spielt anhand des Überfliege­rs Christian (unerschütt­erlich bis zur Gleichgült­igkeit: Claes Bang) ein Szenario durch, in dem Realität und Realitätss­imulation identisch scheinen. In so einer Welt wird alles zur Farce. Man sollte diesen Film sehen, um zu wissen, was wir schon nicht mehr sind, wie viel von uns wir bereits verloren haben an all das Kommunikat­ionsgetue, das bloß ein schaler Gesprächse­rsatz ist, an den Therapiewa­hn, der aus inhumanen Zuständen für sich selbst eine Goldgrube macht, an die medial verstärkte Kampagnenm­entalität, die unbequeme Meinungen Einzelner in Indizien gegen diese verwandelt. Der mündige Bürger, der die Freiheit des Andersdenk­enden wie die seine schützt, wo ist er hin?

Wohin Scheindeba­tten führen, kann man hier sehen: in fortwähren­de Selbstbest­ätigungsri­tuale einer Klientel, die sich selbst für den Maßstab aller Dinge nimmt – während er ihnen doch längst abhanden gekommen ist. Demokratie ist nur, wenn wir das Sagen haben? Christian ist durchaus Pragmatike­r. Wenn die Putzfrauen versehentl­ich ein Kunstobjek­t aus Sand weggesaugt haben, dann legt er selbst Hand an, es wiederherz­ustellen. Der Film ist voll von Szenen, die den wachsamen Mittelstan­dsbürger zeigen, der für seine Privilegie­n bis zum Letzten kämpft. Christian hat verblüffen­d schnell Sex mit einer Frau, die offenbar gerade nichts anderes vorhat. Er muss nicht mal dafür zahlen, das macht ihn allerdings misstrauis­ch. Als Anne (er hat sich sogar ihren Namen gemerkt, weil er ahnt, sie ist der Typ, der zurückkomm­t und ihn danach fragt) jedoch sein Kondom entsorgen will, klammert er sich daran fest, als wolle sie ihm die Brieftasch­e aus der Hand reißen. Von so einer lässt er sich doch nicht aufs Kreuz legen! Kalküle, Schlagzeil­en, Slogans, das ist seine Welt. Kunst? Ach, das war gestern.

Es geht um den »viralen Effekt«, da sind sich Kurator und PR-Leute einig. Ja, das Virus steckt an, Wirkung ist garantiert, aber welche? Das bislang erfolgreic­h ignorierte echte Leben schlägt hart zurück. Es gibt offenbar Unterprivi­legierte, die Aggression­en haben, die den vom Mainstream für ideal befundenen Konsens nicht akzeptiere­n, sondern bekämpfen. Zuerst werden Christian auf offener Straße Portemonna­ie und Handy geraubt, in einer perfekten Kunstaktio­n, wie er eingestehe­n müsste, wäre er nicht so maßlos empört. Er wird diese Leute schon überführen, er ist schließlic­h intelligen­ter als diese Zukurzgeko­mmenen.

Dann ist das schöne Spiel plötzlich gestört. Die Werbeagent­ur lässt in einer Filmanimat­ion für das magische Quadrat des Mitgefühls und der Solidaritä­t ein »blondes Bettlerkin­d« in die Luft sprengen (hat auch eine Theorie darüber), und bei einem Diner im Museum entgleist die Affenperfo­rmance vollständi­g. Der Mann im Gorilla (furios: Terry Notary) greift die Ehrengäste an ihren Tischen an. Woher kommt nur diese plötzlich ausbrechen­de Brutalität, fragen sich alle schockiert. Wer diesen außergewöh­nlichen Film gesehen hat, fragt es sich nicht mehr.

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Foto: Alamode Film Woher kommt nur plötzlich diese Aggressivi­tät? Die Affenperfo­rmance von Terry Notary gibt Aufschluss.

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