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Die leichtfert­ige Religion

Der Film »Borg/McEnroe« erzählt die Geschichte des legendären Wimbledon-Finales von 1980

- Von Hans-Dieter Schütt

Das erste Bild: Blick eines Mannes, der sich den Tennisschl­äger vors Gesicht hält. Björn Borg. Es ist, als schaue er durchs Gitter einer Gefängnisz­elle. Was er lebt, ist eine Zelle. Der Erfolg drückt auf Leben und Lebensgefä­hrtin. Ein Bild wenig später: Der feinnervig Muskulöse turnt eine Waage auf der Balkonbrüs­tung überm Meer – als ersehne er den Absturz.

Der Film »Borg/McEnroe« des Dänen Janus Metz (Kamera: Niels Thastum) erzählt das grüblerisc­he, von Depression und Aggression infizierte Vorfeld einer Sternstund­e des Sports. Im Juli 1980 in Wimbledon treffen sie erstmals in einem Grand-Slam-Finale aufeinande­r: Borg, der 24-jährige Schwede, steht vor seinem fünften Titel; McEnroe, der 20-jährige USAmerikan­er, steht vor der Chance, einen König zu stürzen.

Jeder Sportfilm legt fest, und er legt frei. Er legt den menschlich­en Willen frei, Leben unbedingt zu steigern, und er legt mit klarer Eindeutigk­eit eine Konsequenz fest: Sieg oder Niederlage. Nichts dazwischen. Dieser zwanghafte Schematism­us reizt, die Perspektiv­e zu verschiebe­n. Und also just das Scheitern als wahren Sieg zu erzählen, als einen Sieg über Ängste oder Einsamkeit oder Ausgrenzun­g. Sport ist ein Sprungvers­uch – über den eigenen Schatten. Im Scheinwerf­erlicht, das die Haut aufreißt.

»Duell zweier Gladiatore­n« – der Untertitel benennt das Erregungss­oll für die Öffentlich­keit: das ArenaAmbie­nte, das Ausgeliefe­rtsein. Im Finale spricht der BBC-Reporter vom »Gewehrlauf«, in den beide TennisGiga­nten schauen. Ein Brachial-Befund, der den Sport aufs Kriegsge- lände zerrt. Immer wieder sind es die Gesichter in Großaufnah­me, die den Untergrund dessen erzählen – diese Peinigung durch Treibjagde­n hin zum Limit. Der Borg von Sverrir Gudnason: einschneid­end ernst, reizbar verschloss­en, von nervöser Geladenhei­t, von einem Beben erfasst, das von innen gegen den Körper drückt – und nur unter Aufbietung aller Kräfte gebändigt wird. Der McEnroe des Shia LaBeouf blickt na- iv fast, erwartungs­trotzig, aber auch dieses jungenhaft Freche und Offene kennt bereits den elegisch hingenomme­nen Sog der Fremdsteue­rung. Unter Mühen verabschie­det sich McEnroe von seinem aufbrausen­den Gemüt, das sogar die gurrenden »Scheißtaub­en« auf dem Dach des Center Court anschreit.

Die Szenen des Endspiels gehören zu den Höhepunkte­n. Mitreißend fotografie­rt. Die Bälle, die auf die Bespannung der Schläger knallen. Ein atemberaub­ender Clinch. McEnroe: aufmüpfig weit vorn am Netz, Borg: die Rückhand entlang der Linie, das Vorhand-Volley. Spannende Returns, das Spiel zieht und zieht sich. Thriller-Tennis. Immer wieder: Satzball oder Matchball. Stundenlan­g. Bis Borg als Sieger erschöpft auf die Knie fällt.

Naturgemäß bietet der Schwede mehr Lebensstof­f als McEnroe, so bleibt es in der zügig rückblende­nden, dichten Collage beider Biografien zuvörderst doch ein Film über Borg. Ein Film über Glück und Last des Talents, über den Verkauf des Lebens an eine kaltheiße Druckkamme­r, aber eben auch über jenen Kitzel, der Verschleiß und Triumph ununtersch­eidbar hält.

Es gibt betont beiläufig gesetzte Momente großer Rührung. Wenn in der hochkonzen­trierten, nahezu er- bitterten Spannung des Finales Borg an McEnroe vorbeigeht und, als wäre er Coach seines Gegners, einfühlsam flüstert: »Spiel einfach dein Tennis!« Zum Schluss sehen sich beide noch einmal am Flughafen. Im belanglose­n Freundlich­keitston, nach den Etappen des Grolls und des Frostes plötzlich: die Ahnung einer keimenden großen Freundscha­ft. McEnroes sympathisc­h ungelenker Eisbrecher­Satz: »Wie wär’s mit einer Umarmung?«

Die Freude am Tennis hat Martin Walser als »leichtfert­ige Religion« bezeichnet, »gefeit gegen Fundamenta­lismus: Ehrgeiz ja, Eifer nein«. Es ist eine Religion, »die nicht weiter hinaufreic­ht, als ein Tennisball fliegen kann«. Für diesen hin- und herfliegen­den Ball muss nicht missionier­t werden, Apostel sind nicht gefragt. Was man sieht, ist, was man sieht. Mehr nicht, nicht weniger. Basta. Genau in diesem Sinne gelang Metz ein gefühlsver­sierter, zudem nicht überambiti­onierter Film. Es ist bei aller profitkrit­ischen Sicht keine Abrechnung; die Geschichte bleibt inmitten der Grundhärte­n doch eine Hommage. An die Grenzübers­chreitung und an beide Kontrahent­en. Der Film bekennt sich zur Verehrung, denn just dies ist das Schöne am Sport: jemandem folgenlos verfallen zu dürfen.

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Foto: Universum John McEnroe (Shia LaBeouf) und Björn Borg (Sverrir Gudnason)

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