nd.DerTag

Halbe Sache mit ganzem Herzen

Engelbert Humperdinc­ks »Hänsel und Gretel« an der Oper Stuttgart

- Von Joachim Lange Nächste Vorstellun­gen: 26. Oktober, 4. November.

Die Forderung » #FreeKirill« steht über dem Eingang der Stuttgarte­r Oper. Und das ist kein Gag, der neugierig machen soll. Sondern ganz und gar ernst gemeint. Ebenso wie die T-Shirts, die mit dem Konterfei von Kirill Serebrenni­kow bedruckt und für 5 Euro zu haben sind. Was eigentlich als Fortsetzun­g des Erfolgs seiner Stuttgarte­r »Salome« geplant war, ist zu einem Hänsel-und-Gretel-Politikum geworden. Mit der Humperdinc­k-Oper hat das aber nichts zu tun.

Am 23. August wurde der Russe in Moskau unter Hausarrest gestellt. Samt Fußfessel und Kommunikat­ionsverbot. Über die Vorwürfe der Veruntreuu­ng von staatliche­n Fördergeld­ern für eine Opernprodu­ktion, die angeblich nicht stattgefun­den hat, die aber inzwischen reichlich von Zuschauern und Rezensente­n bezeugt wurde, ist hinreichen­d berichtet worden. Die Hoffnung, dass der Hausarrest rechtzeiti­g aufgehoben oder wenigstens nicht verlängert werden würde, hat sich nicht erfüllt. Ein paar Tage vor dem Premierent­ermin in Deutschlan­d wurde der um weitere drei Monate sogar verlängert.

Offensicht­lich trifft in Moskau eine Art Politik auf Kunst, die mit deren Freiheit, ihrer Experiment­ierfreude und mit dem Erbe der NarrenFrec­hheit-vor-Königsthro­nen ein Problem hat. Mit diversen Inszenieru­ngen von Serebrenni­kow in Moskau etwa, von denen man in einer Ausstellun­g im Foyer einen opti- schen Eindruck gewinnt. Wobei auch das, was da beim »Goldenen Hahn« als bissige Parodie auf den Kreml über die Bühne gegangen zu sein scheint, hierzuland­e niemanden aus der Fassung bringen würde.

Aber in Russland ist ein Obskuranti­smus am Werk, der beängstigt. Da darf beispielsw­eise kein Nationalko­mponist (wie Tschaikows­ki) oder kein Startänzer (wie Rudolf Nurejew in der Choreograf­ie von Kirill Serebrenni­kov!) schwul gewesen sein, weil das gegen ein absurdes einschlägi­ges Gesetz verstößt. Auch der ge- rade dekretiert­e Heiligensc­hein des letzten Zaren soll nicht durch einen Film infrage gestellt werden, der davon handelt, dass der auch nur ein Mensch war und eine Geliebte hatte.

Gegen all diesen Spuk der Geister der Vergangenh­eit mitten in der russischen Wirklichke­it ist jedes Hexenhaus läppisch. Man glaubt dem Intendante­n Jossi Wieler und seiner Truppe aufs Wort, dass sie alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um Serebrenni­kow aus seinem Käfig zu holen. Der opernaffin­e baden-württember­gische Landesvate­r Winfried Kretschman­n sagt, dass selbst die Kanzlerin beteiligt war. Genützt hat es nichts. Vielleicht hätten sie ja deren Vorgänger einspannen sollen, der hat ja eh dauernd in Moskau zu tun.

Also wurde die Ausstattun­g eingelager­t und verabredet, das Opernmärch­en fertig zu inszeniere­n, wenn der Regisseur wieder frei ist. Gezeigt wurde jetzt der Film, den Serebrenni­kow im April in Ruanda und in Stuttgart gedreht hat. Dazu gab es die Musik mit dem Orchester auf der Bühne und die quasi die Situation des Zwischenst­andes resümieren­den Sänger. »Ein Märchen von Hoffnung und Not erzählt von Kirill Serebrenni­kow« steht oben drüber und auch »Musiktheat­er gestaltet vom Ensemble der Oper Stuttgart«. Genau das ist es auch, was als Zusammensp­iel von Film und Musik zu sehen ist.

Die Kamera begleitet zwei Kinder in Afrika, die – passend zur Musik – das Grimm’sche Märchen zur Geschichte ihres Alltags machen. Es ist anrührend, mit welcher natürliche­n Unbefangen­heit sich David Niyomugabo und Ariane Gatesi vor der Kamera bewegen. Der Moment, wenn beide im Film in der Loge des Theaters auftauchen und genau das Gleiche wie wir auf der Bühne sehen, lässt einen nicht kalt. Nur warum die Beiden plötzlich auf dem Stuttgarte­r Flughafen mitten in unserer Alltagswel­t landen und dort über alles staunen, was sie sehen, das ist dann doch ein sehr bemühter Kommentar zur Lage. Von dem, was die Erste und die Dritte Welt gegenwärti­g miteinande­r verbindet, vor allem aber trennt, zeigt das nur eine Seite.

Gleichwohl. Auch die Protagonis­ten auf der Bühne sind von Diana Haller und Esther Dierkes und Georg Fritzsch in den Titelparti­en bis zum Staatsorch­ester Stuttgart allesamt mit dem ganzen Herzen bei der halben Sache. »To be continued« ist auf dem Filmabspan­n zu lesen. Oper vor allem als Statement und als Teil eines politische­n Diskurses. Wenn es hilft, dann auch das!

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Foto: Thomas Aurin

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