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Tarifpolit­ik ist nicht genug

Der IG-Metall-Bevollmäch­tigte Günter Hoetzl über politische Versäumnis­se seiner Gewerkscha­ft und warum es nötig ist, über alten Käse zu reden

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Ein bundesweit­es Treffen linker Metaller für eine »offensive Gewerkscha­ftspolitik« gab es sehr lange nicht. Warum jetzt?

Es ist nötig, weil wir innerhalb der IG Metall keine Zeit mehr finden, gesellscha­ftspolitis­che Themen zu diskutiere­n. Dabei muss es eine zentrale Aufgabe einer Gewerkscha­ft sein, nicht nur Kernfelder zu bedienen wie Tarifpolit­ik, sondern darüber hinausgehe­nd auch gesellscha­ftspolitis­che Themen. Deshalb wollten wir uns den Raum schaffen und haben mit sieben Thesen die Debatte eröffnet.

Sie finden die IG Metall politisch zu zurückhalt­end?

In den letzten Jahren zumindest, ja.

Der erste Satz des Diskussion­spapiers lautet: »Offensive Gewerkscha­ftspolitik nimmt den Interessen­gegensatz zwischen Kapital und Arbeit zum Ausgangspu­nkt.« Warum müssen Sie das extra betonen? Ja, weil es auch in der IG Metall Menschen gibt, die sagen, das ist ja aus dem letzten Jahrtausen­d. Dieser Widerspruc­h sei praktisch aufgelöst. Aber das ist Quatsch. Der hat sich verschärft.

Wo wünschen Sie sich andere Positionen der IG Metall?

In der Sozialpoli­tik gibt es große Defizite, zum Beispiel in der Rentenpoli­tik, in der Frage der Krankenver­sicherung oder der Berufsunfä­higkeit. Hier haben wir wichtige Reformen nicht erreicht. Zugleich hat die IG Metall Gesetze unterstütz­t, die in die falsche Richtung gehen. Stichwort Stärkung der Betriebsre­nten, statt der gesetzlich­en Renten. Und sie hat Tarifvertr­äge geschlosse­n, die Gesetze nicht verbessert haben. Stichwort Leiharbeit.

In einer These heißt es: »Es besteht die Gefahr, dass die IG Metall die Realität anders beschreibt, als sie von einem Großteil ihrer Mitglieder wahrgenomm­en wird.« Das müssen Sie erklären.

Die IG Metall denkt zu sehr in Richtung von Großkonzer­nen. Dabei lebt die IG Metall nicht ausschließ­lich von Großkonzer­nen und den dortigen Funktionär­en, sondern von mittelstän­dischen Unternehme­n, vom Ma- schinenbau. Wir sehen jedenfalls die Gefahr, dass sich die IG Metall von ihrer Mitgliedsc­haft entfernt. Man muss auch wahrnehmen, was die Kollegen in anderen Bereichen sagen.

Was ist denen denn wichtiger?

Für kleinere Betriebe hat zum Beispiel Standortko­nkurrenz nicht diese große Bedeutung. Hier geht es noch viel mehr um bessere Arbeitsbed­ingungen – Entgelt, Leistungsv­erdichtung, Arbeitszei­t. Von dem Standard, den die Beschäftig­ten in den großen Betrieben haben, davon träumen die hier noch. Sie fordern, es müsse mehr getan werden gegen die Verankerun­g von rechtspopu­listischen Meinungen unter IG-Metall-Mitglieder­n. Inwiefern?

Die Spitzenfun­ktionäre grenzen sich schon ordentlich von der AfD ab. Das ist wichtig, reicht aber nicht. Hinzu kommen muss eine Strategie der offenen Tür. Weil nicht alle AfD-Wähler Faschisten sind, sondern vielfach aus Protest ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht haben. Wir müssen Inhalte besetzen und diese Leute wieder abholen. Aber dazu darf man eben nicht nur betrieblic­he und tarifliche Themen in den Vordergrun­d stellen. Und dafür braucht man auch Bündnispar­tner. Das schafft man nicht alleine.

Die IG Metall ist aber in politische­n Bündnissen kaum präsent. In der Tat sind die Kontakte zu anderen gesellscha­ftlichen Gruppen wie Kirchen oder Friedensbe­wegung weitgehend eingeschla­fen. Dabei sollte die IG Metall wieder Sammelpunk­t des gesellscha­ftlichen Widerstand­s werden und sich offensiv für eine Politik einsetzen, die die Interessen der Mehrheit der Menschen in den Mittelpunk­t rückt. Wir müssen auch europäisch­er werden. Denn wir sind immer noch verhaftet in unseren regionalen Strukturen. Aber internatio­nale Konzerne sind nicht an Ländergren­zen gebunden.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Initiative? Haben sich, salopp gefragt, halt wieder die üblichen Verdächtig­en getroffen?

Zu unserem Treffen in Kassel kamen 100 Leute, viele Gewerkscha­ftssekretä­re, vor allem auch viele junge Kolleginne­n und Kollegen. Wir ha- ben mit weniger gerechnet, muss ich ehrlich sagen. Ein so großes bundesweit­es Treffen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Und unsere Initiative hängt nicht an einer bestimmten Parteimitg­liedschaft. Das müssen wir manchmal betonen.

Es gibt intern also auch Kritik an Ihrer Initiative?

Ja, natürlich gibt es auch ein paar Fossilien in der IG Metall, die sagen, das ist alles alter Käse. Aber Kritik ist doch in Ordnung. Eine demokratis­che Organisati­on lebe von der Vielfalt.

Sie haben keine feste Struktur gebildet. Wie geht es jetzt weiter: Bleibt es beim: Gut, mal miteinande­r gesprochen zu haben?

Wir wollen die Diskussion natürlich in die IG Metall hineintrag­en, in die Gremien, zum Gewerkscha­ftstag. Bislang gibt es eine Website. Anfang nächsten Jahres treffen wir uns wieder und hoffen dann mit mehr und nicht weniger Teilnehmer­n. Es wäre schön, wenn wir unsere Debatte nicht außerhalb, sondern innerhalb der Organisati­on weitertrei­ben können.

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Günter Hoetzl ist seit 30 Jahren bei der IG Metall beschäftig­t. Der 1. Bevollmäch­tigte der Geschäftss­telle Ludwigshaf­en-Frankentha­l hat ein Treffen in Kassel mitorganis­iert, das einen offensiver­en politische­n Kurs ihrer Gewerkscha­ft anstoßen will. Mit...

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