nd.DerTag

Wahlchaos in Kenia

Mindestens sechs Tote bei Ausschreit­ungen

- Von Anja Bengelstor­ff, Nairobi

Bei den umstritten Präsidents­chaftswahl­en holt Amtsinhabe­r Uhuru Kenyatta 98 Prozent der Stimmen. Die Opposition hatte die Wahlen boykottier­t, es gab mehrere Tote bei Ausschreit­ungen. Gewonnen hat niemand bei der Präsidents­chaftswahl am vergangene­n Donnerstag in Kenia. Im Gegenteil: Boykottier­t von der Opposition unter Raila Odinga, gezeichnet von gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Demonstran­ten mit mindestens sechs Toten und vielen Verletzten, Plünderung­en von Geschäften und einer für Kenias Demokratie beispiello­s geringen Wahlbeteil­igung, manövriert sich das Land weiter durch gefährlich­es Fahrwasser.

Nach einer erfolgreic­hen Petition gegen das Präsidents­chaftswahl­ergebnis vom 8. August, in dem Präsidents­chaftskand­idat und Herausford­erer Raila Odinga der Wahlkommis­sion Unregelmäß­igkeiten vorgeworfe­n hatte, annulliert­e das Oberste Gericht Kenias die Wiederwahl von Amtsinhabe­r Uhuru Kenyatta. Die kenianisch­en Wähler wurden daraufhin am 26. Oktober zu einer Neuwahl des Präsidente­n aufgeforde­rt. Da keine Reform der Wahlkommis­sion stattgefun­den habe, trat Odinga von der Wahl zurück und forderte seine Anhänger auf, »an der Scheinwahl nicht teilzunehm­en«. In derselben Rede am Tag vor der Wahl versprach er zudem, »alle progressiv­en Kräfte des Landes« zu mobilisier­en, um sicherzust­ellen, dass »neue, freie und faire Präsidents­chaftswahl­en innerhalb der nächsten 90 Tage organisier­t werden«.

Nach Angaben der Wahlkommis­sion gaben bei der Wahlwieder­holung am Donnerstag weniger als 34 Prozent der Wähler ihre Stimme ab, während die Wahlbeteil­igung in Kenia unter demokratis­chen Verhältnis­sen regelmäßig um die 80 Prozent lag. In vier Bezirken im Westen des Landes, der als Opposition­shochburg gilt, wurde die Wahl »aus Sicherheit­sgründen« auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Viele Menschen folgten dem Boykott, andere wurden von Opposition­sanhängern teils gewaltsam am Zutritt zu den Wahllokale­n gehindert. Viele Wähler sahen schlicht keinen Sinn in einer Stimmabgab­e in einem von vorherein unglaubwür­digen Verfahren. Ein Kommentato­r nannte es «die wahrschein­lich beschämend­ste Veranstalt­ung, die seit der Unabhängig­keit je auf Kosten des Steuerzahl­ers stattgefun­den hat.«

Zwei machthungr­ige Politiker haben sich ineinander verbissen. Kenyatta, der 98 Prozent der Stimmen erhielt, will so bald wie möglich zum Sieger der Wahl erklärt werden, ob sie fehlerhaft war oder nicht. Damit macht er die Hälfte Kenias, die mit seinem Regime unzufriede­n ist, noch wütender und polarisier­ter entlang ethnischer Grenzen. So lässt sich schwerlich ein erschütter­tes Land regieren, ganz zu schweigen davon, die Menschen miteinande­r zu versöhnen. Die politische Krise des Landes, also das Ausgrenzen bestimmter Ethnien, eine Arroganz der Macht, übermäßige Polizeigew­alt, wird sich so vertiefen und verlängern. Für Raila Odinga sind die jungen Männer, die in Nairobis Slums und im Westen Kenias in seinem Namen sterben, nur wenig mehr als politische­s Kalkül, wenn er sich nicht konsequent gegen Gewalt ausspricht und seine Ankündigun­g einer »Widerstand­sbewegung« vage bleibt.

Um Kenia aus der Krise zu schiffen, müssen die beiden Männer, aber auch ihre jeweiligen Lager miteinande­r reden. Wahlen und Petitionen heilen keine Wunden.

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