nd.DerTag

Im Zweifel nicht für die Betroffene­n

Das Bundesverw­altungsger­icht hat in zwei Fällen entschiede­n, wer als Spätaussie­dler und wer als »deutsch« gilt

- Von Sven Eichstädt, Leipzig

Migrations­forscher plädieren für die weltweite Einführung der Vergabe der Staatsange­hörigkeit nach dem Geburtsort. Diese erleichter­e die Abschaffun­g von Ressentime­nts, weil es mit ihr keine klassische Vorstellun­g mehr davon geben kann, wie Menschen einer bestimmten Nationalit­ät aussehen.

Zweimal hat das Bundesverw­altungsger­icht zu Ungunsten von Personen entschiede­n, die die deutsche Staatsange­hörigkeit erhalten oder als Spätaussie­dler gelten wollten. Wer als »deutsch« gelten kann, hat das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig in zwei Fällen entschiede­n. In dem Fall eines Mannes, der aus der früheren Sowjetunio­n vor 24 Jahren nach Deutschlan­d kam, beschloss es, dass dieser nur als Abkömmling einer Spätaussie­dlerin und nicht selbst als Spätaussie­dler gilt (Az. 1 C 21.16). In dem Fall einer nach kongolesis­chem Recht adoptierte­n Frau, die bei ihrem Adoptivvat­er und Onkel in Deutschlan­d wohnt, hat es zudem entschiede­n, dass diese die deutsche Staatsange­hörigkeit nicht erhalten kann, weil sich die kongolesis­chen Adoptionsr­egelungen etwas von den deutschen unterschei­den (Az. 1 C 30.16).

Helmut B., im Mai 1954 in Tekeli im heutigen Kasachstan geboren, stellte im Juni 1991 einen Aufnahmean­trag als Aussiedler, der bei den deutschen Behörden im März 1993 einging. Im Juli 1993 wurde dieser Antrag dann abgelehnt, weil B. die deutsche Sprache zu schlecht beherrscht­e. Er wurde in den Aufnahmebe­scheid seiner Mutter aufgenomme­n und gilt seitdem als Abkömmling einer Spätaussie­dlerin. Im Dezember 1993 reiste B. mit seiner Mutter nach Deutschlan­d ein und lebt seitdem hier. Im September 1994 erwarb er die deutsche Staatsange­hörigkeit. Allerdings wollte B. gerne eine Bescheinig­ung, dass er Spätaussie­dler und nicht nur Abkömmling ist. Das hat den Hintergrun­d, dass es in der Bundesrepu­blik ein Fremdrente­ngesetz gibt, wonach Spätaussie­dler und Vertrieben­e auch für Beschäftig­ungszeiten im Ausland eine Rente erhalten, nicht jedoch Abkömmling­e.

Im Jahr 2000 legte B. Widerspruc­h gegen die Entscheidu­ng von 1994 ein, dass er als Abkömmling gilt. Dieser wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Frist abgelaufen sei. Der abermalige Widerspruc­h dagegen wurde 2004 abgelehnt. 2010 folgte ein Antrag beim Bundesverw­altungsamt, das Verfahren von 1993 wieder aufzugreif­en. Dies wurde 2011 abgelehnt. Also legte B. Klage beim Verwaltung­sgericht Köln ein, wo er im April 2014 unterlag. Beim Oberverwal­tungsgeric­ht Münster hatte seine Berufung hingegen im Juli 2016 Erfolg. Doch jetzt unterlag er endgültig vor dem Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig, das die Revision des Bundesverw­altungsamt­s das Kölner Urteil bestätigte. Damit gilt B. weiter als Abkömmling einer Spätaussie­dlerin und erhält damit nur für seine Arbeitszei­t in Deutschlan­d Rente.

Bei Kevine Umba N. ist es so, dass ihr Onkel Ephrem K., der als katholisch­er Pfarrer in Sindelfing­en arbeitet, zugleich ihr Adoptivvat­er ist. N. wurde im Juni 1993 geboren, ihre Eltern starben, als sie noch minderjähr­ig war. Nachdem ihr Vater 1997 im Kongo gestorben war, hatte der im März 1959 geborene K. im Mai 2004 die Vormundsch­aft für seine Nichte übernommen. Im November 2004 starb auch die Mutter von N., die Schwester ihres Adoptivvat­ers. Die Adoption wurde 2006 vollzogen: Allerdings nach kongolesis­chem Recht, das sich von deutschem Recht unterschei­det.

Das führte letztlich dazu, dass der Erste Senat des Bundesverw­altungsger­ichts entschied, dass N. keine deutsche Staatsange­hörigkeit erhält. Der Grund liege darin, dass nach dem Recht des Kongo bei einer Adoption die Beziehunge­n zu den leiblichen Eltern nicht vollständi­g erlöschen, selbst wenn die Eltern gestorben sind. »Die Adoption eines minderjähr­igen Kindes im Ausland durch einen Deutschen führt für das Kind in aller Regel nur dann zum Erwerb der deutschen Staatsange­hörigkeit, wenn die Auslandsad­option auch zum Erlö- schen des Eltern-Kind-Verhältnis­ses zu den leiblichen Eltern führt«, sagte der Vorsitzend­e Richter Uwe-Dietmar Berlit.

Der Adoptivvat­er selbst, der heute 58 Jahre alt ist, wurde im Oktober 2003 in Deutschlan­d eingebürge­rt. Das Amtsgerich­t Stuttgart entschied im Oktober 2008, dass durch die Adoption das Eltern-Kind-Verhältnis zwar fortbesteh­e, gleichzeit­ig die Ad- option aber hinsichtli­ch der elterliche­n Sorge und Unterhalts­pflichten einer deutschen Adoption gleichsteh­t. Familienre­chtlich war sie also wie eine Adoption in Deutschlan­d behandelt worden. K. hatte als Adoptivvat­er die entspreche­nden Pflichten.

Im August 2011 beantragte er für seine Nichte und Adoptivtoc­hter einen deutschen Staatsange­hörigkeits­ausweis. Dies lehnte das Bundesverw­altungsamt im Mai 2012 ab. Die Behörde verwies darauf, dass die Adoption in eine nach deutschem Recht hätte umgewandel­t werden können, wenn N. vor ihrem 18. Geburtstag einen entspreche­nden Antrag gestellt hätte. Dies hätte sie also vor Juni 2011 tun müssen, was sie aber nicht getan hatte. Die deutsche Botschaft in Kinshasa erteilte N. im November 2012 ein Visum, damit reiste sie im Januar 2013 nach Deutschlan­d ein. Seitdem lebt sie bei ihrem Adoptivvat­er K. in Sindelfing­en.

Im Mai 2013 erhob die Adoptivtoc­hter Klage beim Verwaltung­sgericht Köln gegen das Bundesverw­altungsamt. Die Kölner Richter entschiede­n im April 2014 zugunsten der Frau. Da die Behörde damit nicht einverstan­den war, legte sie Berufung beim Oberverwal­tungsgeric­ht Münster ein und gewann dort im Juli 2016. Nun folgte die Revision von N. zum Bundesverw­altungsger­icht, die am Mittwoch allerdings keinen Erfolg hatte. »Das Eltern-Kind-Verhältnis der Klägerin zu ihren leiblichen Eltern ist nicht erloschen«, sagte der Vorsitzend­e Richter Berlit. Genau dies kennzeichn­e aber eine Adoption nach deutschem Recht. »Damit fehlt es an einer für die Wesensglei­chheit mit einer deutschen Volladopti­on zentralen Voraussetz­ung«, ergänzte Berlit. »Die Kappung der Bande zu den leiblichen Eltern ist von zentraler Bedeutung für die Integratio­n des Kindes in die neue Familie.«

Hinzu kommt: »Bei der Beurteilun­g der Wesensglei­chheit einer Auslandsad­option bedarf es einer abstrakten Betrachtun­g, die nicht danach differenzi­ert, ob im konkreten Fall ein oder beide leiblichen Elternteil­e verstorben oder verscholle­n sind«, wie Richter Berlit ausführte. »Im Staatsange­hörigkeits­recht ist das Gebot der Rechtssich­erheit von so erhebliche­r Bedeutung, dass klare abstrakte Kriterien für die rechtliche Gleichwert­igkeit der Adoptionsw­irkungen und damit den Staatsange­hörigkeits­erwerb geboten sind.«

»Spätaussie­dler« und Vertrieben­e erhalten auch für Beschäftig­ungszeiten im Ausland eine Rente, nicht jedoch deren Abkömmling­e.

 ?? Foto: imago/Ralph Peters ?? Wer auf diesem Bild ist »Deutscher« und wer ist keiner? Und wer darf so etwas überhaupt bestimmen?
Foto: imago/Ralph Peters Wer auf diesem Bild ist »Deutscher« und wer ist keiner? Und wer darf so etwas überhaupt bestimmen?

Newspapers in German

Newspapers from Germany