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Per Klick Hilfe bei kritischem Alkoholgen­uss

Seit einem Jahr geht die Salus-Klinik in Lindow mit einem speziellen Online-Angebot auf Ratsuchend­e zu

- Von Gudrun Janicke dpa

Gelegentli­ch ein Glas Wein oder ein Bier sind zumeist nicht das Problem. Wenn aber an jedem Tag der Woche getrunken wird, kann es kritisch werden. Wer einen Ausweg sucht, wird auch im Netz fündig. Wann wird beim Alkoholgen­uss ein kritischer Punkt überschrit­ten? Mit einem Online-Selbsthilf­e-Test können Ratsuchend­e seit gut einem Jahr ihr Verhältnis zum Alkohol selbst testen. Wird die Gesundheit geschädigt oder existiert schon eine Abhängigke­it? Mehr als 41 000 Besucher haben seit Freischalt­ung im Oktober 2016 die Homepage www.selbsthilf­ealkohol.de besucht. Es sind vor allem diejenigen, die sich nicht schlüssig sind, ob sie möglicherw­eise zu viel und zu häufig trinken.

»Damit erreichen wir Menschen, die Hilfe brauchen, aber bislang keinen Zugang zum Suchthilfe­system gefunden haben, sich vielleicht davor scheuen«, sagt Johannes Lindenmey- er, Direktor der Salus-Klinik Lindow (Ostprignit­z-Ruppin). Dort wurde das Programm entwickelt. Die Klinik ist auf die Behandlung von Alkoholkra­nken spezialisi­ert. Jährlich werden hier rund 1000 Suchtpatie­nten behandelt, im Durchschni­tt zwölf Wochen lang.

Laut Antje Hardeling, Geschäftsf­ührerin der Landesstel­le für Suchtfrage­n, gibt es in Brandenbur­g 40 000 Alkoholabh­ängige. Nur zehn bis 15 Prozent unterziehe­n sich einer Therapie. Die ambulanten Suchtberat­ungsstelle­n behandeln pro Jahr 4000 Menschen mit Alkoholpro­blemen. Auf drei Männer kommt eine Frau.

»In dem Onlineprog­ramm können Betroffene zunächst in einem kurzen Selbsttest ihr Verhältnis zu Alkohol ganz objektiv untersuche­n«, sagt Lindenmeye­r. Wie oft und bei welchen Gelegenhei­ten zum Glas gegriffen wird, wird gefragt. Im Anschluss kann jeder entscheide­n, ob er vielleicht weniger trinken will oder möglicherw­eise sogar abstinent leben will.

Es gebe wenige Angebote für Menschen mit Alkoholpro­blemen, so Lin- denmeyer. Daher rühre die große Resonanz des kostenlose­n Programms. »Die Scham ist einfach zu groß, sagen zu müssen, dass man Hilfe benötige«, Johannes Lindenmeye­r, Direktor der Salus-Klinik sagt der Psychologe. Niemand wolle sich als alkoholkra­nk outen. Anonym am Computer gehe das einfacher.

Bislang unterzogen sich mehr als 6000 Nutzer im Internet dem Selbsttest. Ergebnis: 82 Prozent von ihnen sollten das Trinkverha­lten unbedingt ändern. »Im nächsten Schritt geht es darum, ein persönlich­es Änderungsz­iel bezüglich des künftigen Umgangs mit Alkohol festzulege­n«, sagt er. Kleine Aufgaben müssen erledigt und in einem Tagebuch etwa das Verlangen nach einem Glas erfasst werden. Es sei erstaunlic­h, dass viele Menschen das sechswöchi­ge Programm durchhielt­en und sich nicht einfach verabschie­deten, sagt er. Manche Nutzer suchten sogar mehrmals am Tag die Seite auf. In einem Forum gebe es einen anonymen Austausch der Teilnehmer und Antworten bei Problemen durch Mitarbeite­r der Klinik.

»Teilnehmer sind in der Regel ehrlich und geben keine geschönten Antworten«, so Lindenmeye­r. Für bereits Abhängige reiche das Programm aber nicht aus, da müsse andere Hilfe in Anspruch genommen werden. Empfohlen würden Beratungss­tellen. Statistisc­h haben bundesweit 9,5 Millionen Menschen ein riskantes Verhältnis zum Alkohol, 1,8 Millionen gelten als abhängig. Als riskant gilt, wenn Menschen häufiger als fünf Mal pro Woche zu Alkohol greifen, Frauen pro Tag mehr als ein Glas trinken, Männer mehr als zwei Gläser.

»Die Scham ist einfach zu groß, sagen zu müssen, dass man Hilfe benötige.«

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