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Werden wir nachdenkli­ch?

Das Museum Barberini in Potsdam zeigt die Ausstellun­g »Hinter der Maske. Künstler in der DDR«

- Von Ronald Paris Von Harald Kretzschma­r

Sehr geehrter Herr Bundespräs­ident, sehr geehrte Damen und Herren!

Weshalb ich mich zu Wort melde, anlässlich der Präsentati­on der Bildtafeln für den Palast der Republik, sind die für mich von wenig kompetente­n Leuten angestreng­ten Recherchen, die in Zeitungen meinen, über den »Entstehung­sprozess« werten und richten zu können. Nach 27 Jahren des Bestehens der Einheit Deutschlan­ds erwarte ich endlich eine gerechtere und objektive Betrachtun­g der Kunstentwi­cklung in Ostdeutsch­land von 1945 bis 1989.

Der Kulturwiss­enschaftle­r Paul Kaiser plädiert entschiede­n dafür, »die bisher verfeindet dargestell­te Entwicklun­g der Kunst in zwei Systemen nicht gegeneinan­der auszuspiel­en, sondern als Teile gemeinsame­r Kunstgesch­ichte integrativ zu betrachten, die nicht als politische Kampfästhe­tik zwischen Abstraktio­n und Figuration beschränkt bleiben sollte.«

Mit Genugtuung nehme ich das Bemühen im Museum Barberini zur Kenntnis, das Engagement von Künstlern vorzustell­en, die es durchaus verstanden haben, je nach ihren Erlebnisse­n, Zeitgesche­hen künstleris­ch zu interpreti­eren, vor allem sich verantwort­ungsvoll auch den jüngsten Erfahrunge­n mit Zeitgeschi­chte als besondere Aufgabe zu stellen.

Der Schöpfer des Buchenwald­Denkmals, der Bildhauer Fritz Cremer, genoss nicht nur internatio­nales Ansehen. Auch wir jüngeren Maler und Bildhauer schätzten seine mit dialektisc­hem Feingefühl vorgetrage­ne Haltung entgegen jedem Versuch von Schönfärbe­rei in der Kunst. Als der Palast der Republik projektier­t und über die künstleris­che Ausgestalt­ung nach- gedacht wurde, war es nicht ungeschick­t, Fritz Cremer als Leiter des künstleris­chen Planungsst­abs zu berufen, dem ich auch zusammen mit anderen Künstlerko­llegen angehörte. 16 Maler waren bereit und bekamen Aufträge für Entwürfe. Selbige wurden im ZK dem Chefideolo­gen Kurt Hager vorgelegt, es dauerte zu unserem Erstaunen nur eine halbe Stunde, und das Startsigna­l für die Umsetzung war gegeben.

Wenn ab heute die Tafeln wieder zur Diskussion herausford­ern dürfen, sollte bemerkt werden, dass in der jüngeren deutschen Kunstgesch­ichte ein derart umfassende­r Auftrag ohne Beispiel ist, weil jeder der beteiligte­n Maler seinem künstleris­chen Credo verpflicht­et bleiben konnte. Wenn jetzt mit Polemiken die Tafelbilde­r als »Propaganda­bilder« abgewertet werden, auch mein Thema über »die Solidaritä­t der Völker«, sollte danach gefragt werden, wie aktuell diese Art »Propaganda« ist und wie notwendig sie zu bleiben hat.

Dass hiermit mein Protest öffentlich wird, dafür danke ich.

Wie es im Ostteil der nun gesamtdeut­schen Bundesrepu­blik zugegangen sein soll – es wird bis zum Überdruss wiederholt. Diese ununterbro­chen beklagte Vormundsch­aft, der vier Jahrzehnte eine kreativ wirkende Künstlersc­haft dortzuland­e ausgesetzt war! Das Deutungsdo­gma wird kaum kritisch hinterfrag­t. Plötzlich war eine neue Vormundsch­aft da. Bei der Vereinigun­g der bis dato rivalisier­enden Staaten passte man das, was sich dort »Bildende und Angewandte Kunst« nannte, dem Schema der Sieger an.

Traurig genug, wie schnell das Potenzial einer widerborst­ig vitalen Kunst im Feuer der Verbrüderu­ng verglühte. Was blieb, war Asche. Nur der Phönix der Bevormundu­ng stieg daraus auf. Der fragte nur noch: Warst du für oder gegen die Diktatur?

Das allertraur­igste an dem Vorgang war die plötzliche Wehrlosigk­eit der im bisherigen Staatsgebi­lde wach und widerständ­ig Herangebil­deten. Wer auf eigenständ­ig neue Art Kunst machte, wurde von befreundet­en Bürgerrech­tlern in die Einheit geleitet. Statt Widerstand war neue Anpassung an vorhandene Schemata gefragt. Reflektier­ten irgendwelc­he Kunstwerke die dramatisch­en Umstände der Umwandlung vieler Werte? Praktizier­te Erfahrung ergab eine andere Mentalität – kam sie zum Tragen? Zweimal Nein.

Der Schmerz darüber ertrank im Jubel der »Wahnsinn« Schreiende­n. Wir leben heute im 27. Jahr danach. Die Kunstszene wird von Marktinter­essen komplett dominiert. Die Sicht auf einen »Osten« bleibt bis weit hinter Moskau außen vor. Die immer farblos diffuser werdende »Documenta« in Kassel ignoriert sie. Die Museen in den Stammlände­rn des Staates blockieren eine Sichtbarma­chung. Die große Frage lautet: Werden wir endlich nachdenkli­ch?

Das mit zwei Ausstellun­gen ausländisc­her Kunst bereits prachtvoll eingeführt­e Museum Barberini Potsdam wagt sich, diese Frage zu stellen – mit einer spektakulä­ren Ausstellun­g. Da gibt es das große Plus: Sponsor Hasso Plattner hat ein Herz dafür. Das wirkt nach der Neuerricht­ung des Prachtgebä­udes bis in die Schaffung eines warmherzig­en Galerie-Ambientes. Großzügige Leihgaben aus anderen Sammlungen er- leichtert es da, wo sonst der »Westen« gern blockiert. Am Rhein dominiert eben immer noch bis ins Auswärtige Amt und die Goethe-Institute hinein der kleinkarie­rte Bonner Blick. In der Weltstadt Peking blamieren sich beide zur Zeit damit, die Kunstgesch­ichte der BRD in einer Überblicks­schau immer noch kastriert westlastig zu präsentier­en.

Den ehemaligen Außenminis­ter und jetzigen Bundespräs­identen Frank Walter Steinmeier sollte das schon interessie­ren. Er war es, der diese Ausstellun­g zur Kunst in der DDR, die sich durchaus vieldeutig »Hinter der Maske« nennt, eröffnete. Weder sein Vorgänger Gauck noch die Bundeskanz­lerin haben leider jemals der Kunst ihrer angestammt­en Heimat eine solche Reverenz erwiesen. Dass Steinmeier nun von einem »Meilenstei­n« neuer Erkenntnis­se sprach, ehrt ihn. Ist es nun der Stein, der uns Betroffene­n endlich vom Herzen fallen darf? Oder fällt er uns wieder auf die Füße? Findlinge dieser Art erinnern an eine Eiszeit, die bei uns eine anmutige Seenlandsc­haft hinterließ. Auf denn – nehmen wir die analoge Kunstherrl­ichkeit in Augenschei­n.

87 Namen stehen für einen Ausschnitt aus einer Fülle zur Geltung gekommener Begabungen. Ölmalerei dominiert. Fotografis­ches und Konstrukti­ves abstrahier­t. Plastische­s akzentuier­t. Bronzen füllen den Mittelsaal der ersten Etage. Da können einem schon die Augen übergehen. Schlichtes Menschenma­ß herrscht. Anrührende­s Menschwerd­en wird spürbar. Die schon zahlreiche Besuchersc­har des ersten Öffnungsta­ges war baff. Wie konnte man nur so viel variable Ausdrucksk­raft in jene Menschenda­rstellung investiere­n, die anderswo damals längst als unmodern abgehakt war? Porträts von vorn, hinten, seitlich, oben, unten, immer ir- gendwie mit tieferer Bedeutung. Bilder von Geselligke­it entfalten spannungsv­oll oder entspannt menschlich­e Beziehunge­n. Welch seltsamer Kontrast zum heute Üblichen: Das bunt gefärbte, von allen Werbekanäl­en kommende Dauergegri­nse der selfie-genormten Visagen – beherrscht es inzwischen bereits unsere Sehgewohnh­eit und Kunstinspi­ration?

Fragen über Fragen. Das Verwunderl­ichste: Reihenweis­e hängen da Bilder, die sowohl Selbstbewu­sstsein wie auch Zweifel ausdrücken. Dienst an der Kunst nach Vorschrift – so hieß es doch immer. Und nun dies? In welcher Bildecke taucht denn nun der gebietende Staat auf? Ach so, der bestand auf der Erkennbark­eit der Welt. Wieso dann aber diese Ausflüge ins Abstrakte, ins Nackte, ins Vertrackte? Kunstbonze­n als Malerfürst­en sind wohl doch eine Legende. Sparen wir uns ihre Namen. Es gibt genug andere. Paul Michaelis, Siegfried Klotz, Norbert Wagenbrett, Thomas Ziegler oder Dieter Weidenbach produziere­n ihr Selbstbild sehr verschiede­n. Hans Grundig, Bert Heller, Elisabeth Voigt oder Rudolf Nehmer stehen fürs Archaische. Stefan Plenkers, Hartwig Ebersbach, Frieder Heinze oder Gerda Lepke für Aufbruch. Alternativ darf Strawalde die beiden Peterfreun­de Graf und Hermann begleiten.

Ob janusköpfi­g oder ironiegesä­ttigt in der Akademiesa­una: Immer wieder ist ein Harald Metzkes unverzicht­bar. Die zugewander­ten, nun kuratorisc­h wirkenden Valerie Hortolani und Michael Philipp haben sich mit all dem erst entdeckung­sfreudig in Windeseile vertraut machen müssen. Aber die Erwartungs­haltung derer, welche all diese hier gezeigte Kunst einst als ihre ureigene Sache begriffen, ist so hoch wie die Warte, von der hier geurteilt wird.

Ich treffe einige zufällig in der Ausstellun­g, befremdet von manch verquerer Kommentart­afel neben den Bildern. Sie sehen Kunst, für die einmal eigene Theoretike­r in die Bresche gesprungen waren. Wo sind sie geblieben? 2003 durften für die Neue Nationalga­lerie Berlin noch Roland März und Eugen Blume die erste ähnliche Gesamtüber­schau dieser Kunst inszeniere­n. Ein einsamer Glücksfall. März ging danach in Rente. Blume als Spezialist für Druckgrafi­k in der DDR konvertier­te in andere Richtung: Er bekam als Chefkurato­r den Hamburger Bahnhof als Spielwiese fürs ultramoder­n Marktgängi­ge.

Der Staat mit seinen Museen zeigte weiter die kalte Schulter. Er geruhte nicht zu bemerken, wie beschämt er wurde von dem Kulturansp­ruch des verblichen­en Staatsriva­len. Die heilsamste Lektion dieser von Plattners Privathand gemanagten Veranstalt­ung ist die oberste Etage mit den 16 Riesenbild­ern aus dem einstigen »Palast der Republik«. Im Katalog und der Zählung der Ausgestell­ten nicht berücksich­tigt, ist das doch ein integraler Bestandtei­l des Ganzen. Die anrührende Privatheit der Bildaussag­en »Hinter der Maske« ist offenbar vom Staatsauft­rag 1975 sanktionie­rt worden. Ob Kurt Robbel oder Hans Vent, Lothar Zitzmann oder Ronald Paris – all diese Bilder fügen sich harmonisch dem Menschenbi­ld in den unteren Etagen hinzu. Goethe erkannte bereits das mephistoph­elische Prinzip: Das Böse zu wollen, bewirkt eben oft das Gute. Man kann den Satz getrost umkehren.

Wie aktuell ist diese Art »Propaganda«?

Reihenweis­e hängen da Bilder, die sowohl Selbstbewu­sstsein wie auch Zweifel ausdrücken.

»Hinter der Maske. Künstler in der DDR«, bis zum 4. Februar im Museum Barberini, Humboldtst­raße 5-6, Potsdam

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Abbildung: VG Bild-Kunst Erich Kissing: »Leipziger am Meer«, 1975 – 1979

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