nd.DerTag

Linke Regression

- Von Christian Baron

Am

Sonntag gab Deborah Feldman dem »Deutschlan­dfunk« ein bemerkensw­ertes Interview. Weil die Schriftste­llerin aus den Vereinigte­n Staaten von Amerika stammt und dort in einer ultraortho­dox-jüdischen Familie aufgewachs­en ist, ging es in dem Gespräch vor allem um AfD und Donald Trump. Feldmans interessan­teste These: Wenn Gesellscha­ften wie die US-amerikanis­che oder die deutsche schnell progressiv werden, also rasch nach sozialem Fortschrit­t streben, dann entstehe eine reagierend­e Regression, die zuerst unbemerkt bleibe und sich irgendwann eruptiv entlade.

Das ist gerade darum eine kluge Erkenntnis, da dieser Rückfall in vordemokra­tische Zustände aktuell nicht nur bei Demonstrat­ionen selbst ernannter »Lebensschü­tzer« oder im Rassismus des US-Präsidente­n und auch nicht nur bei »Pegida« in Dresden oder in Reden von Alexander Gauland augenschei­nlich wird. Nein, die reagierend­e Regression kann auch von jener Seite kommen, die den sozialen Fortschrit­t überhaupt erst ausgelöst hat. Dann stehen sich Rechte und Linke im Boxring gegenüber, derweil die Linken parallel gegeneinan­der Empörungsp­ingpong spielen. So geschieht es etwa derzeit innerhalb der deutschen Linksparte­i. Angetriebe­n von einer gnadenlos den Fremdenhas­s schürenden AfD, gerät der linksliber­ale Mainstream in eine aggressive Verteidigu­ngshaltung eigener Werte, die so weit übers Ziel hinausschi­eßen kann, dass jede nüchterne Betrachtun­g des Themas unmöglich wird.

Am härtesten trifft es die linken Kritiker. Den größten Raum nahm und nimmt medial diesbezügl­ich der jüngste und längst nicht ausgestand­ene Kampf um die Deutungsho­heit in der Flüchtling­spolitik der Linksparte­i ein. Sahra Wagenknech­t dürfte noch immer kaum einen Tag beginnen können, ohne sich aus den eigenen Reihen schon wieder als Rassistin diffamiert zu sehen. Als im Herbst vergangene­n Jahres eine Debatte um Klassenpol­itik und Identitäts­politik entbrannte, feuerte die queere Szene unablässig Salven ab gegen jede und jeden, der oder die

Die reagierend­e Regression kann auch von jener Seite kommen, die den sozialen Fortschrit­t ausgelöst hat.

es wagte, von links die totale Verdrängun­g der sozialen Frage zugunsten der Frauen- und Minderheit­enrechte zu kritisiere­n.

Im Frühjahr 2017 erschien im Querverlag das von Patsy l’Amour laLove herausgege­bene Buch »Beißreflex­e. Kritik an queerem Aktivismus, autoritäre­n Sehnsüchte­n, Sprechverb­oten«. Darin schildern 27 Beiträge, wie sich die queere Szene zu einer dogmatisch­en Polit-Sekte entwickelt hat. Das Werk trifft einen Nerv, es liegt bereits in vierter Auflage vor. Verlagslei­terin Ilona Bubeck wollte es darum bei der Messe »Queeres Verlegen« vorstellen, die am 18. November in Berlin stattfinde­t. Jetzt wurde bekannt, dass sich das Orga-Team gegen eine entspreche­nde Veranstalt­ung ausgesproc­hen hat. Bubeck sagte daraufhin die Teilnahme ihres Verlags komplett ab und schrieb in einem Kommentar für die Zeitschrif­t »Siegessäul­e«: »Wer unbequeme Personen verdrängt und wer kritisch hinterfrag­ende Bücher verbietet, ist für mich als lesbische Feministin keine Verbündete.«

Die zentrale Aussage von »Beißreflex­e« hat die ganze Chose indes bestätigt. Und die Bekannthei­t des Buches dürfte weiter steigen.

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