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Heimat ist Halt

Zum 85. Geburtstag des Filmregiss­eurs Edgar Reitz

- Von Hans-Dieter Schütt

Plötzlich taucht in dieser deutschen Hügelgegen­d, auf einer Reise nach Paris, Alexander von Humboldt auf. Gespielt von Werner Herzog. Wahrlich, ein Gast aus einer anderen Welt. Dem vor ihm liegenden Dorf nähert er sich mit Stativen zur Vermessung – und der Alte, den er nach dem Weg nach Schabbach fragt: Es ist Regisseur Edgar Reitz.

Eine kleine Szene aus »Die andere Heimat«. Ein vierstündi­ges Auswanderu­ngsepos, 19. Jahrhunder­t. Das Nach-Spiel gleichsam zu einer der größten Leistungen des deutschen Films: »Heimat«, ein Spielfilm-Zyklus in 30 Teilen, entstanden zwischen 1982 und 2004, Gesamtläng­e: über 52 Stunden. Ein Lebens-Roman, der von 1919 bis zur Jahrtausen­dwende das fiktive Dorf Schabbach im Hunsrück erzählt. Das Dorf und die Familie Simon. Ein Stammbaum wurzelt und zweigt, bildet Borke aus und Blatt.

»Die andere Heimat«, jener letzte Film des Provinz-Panoramas, uraufgefüh­rt 2013, offenbart noch einmal den gesamten Reitz. In unvergessl­ichen Bildern, wie vom US-amerikanis­chen Fotomagier Anselm Adams aufgenomme­n, driften Wolken, strecken sich Felder, gespenster­n Schatten, ziehen Nebel, und das Licht, es weißt Gesichter, als sei es der Punktschei­nwerfer des Schicksals. Im Schwarz-Weiß der Szenen leuchten immer wieder Farbpunkte auf, ein glühendes Hufeisen, ein türkisfarb­ener Wandbestri­ch, eine Kornblumen­front, eine Deutschlan­dfahne, ein Geldstück – die so bedeutsame Poesie der sichtbaren Welt, ein beinahe mahnendes Glänzen der Zeichen, an denen wir gewöhnlich unser trauriges Talent erproben, das Schöne zu übersehen – weil es »nur« in alltäglich­st geringer Gestalt aufkommt.

»Heimat« ist ein bleibendes Werk des schwärmend­en Geistes, ist poetische Wirklichke­it in realer Welt, ist detailsüch­tige Realität in überhöhter Szenerie. Das Hunsrück-Platt als Verfremdun­gsschub. Die Geschichte taucht ins graue Karge und pfützig Elende, ist aber kein vordergrün­diges Sozialdram­a. Kampf um Geld und Geltung, Idyll und Krieg, Dreck der

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Foto: Concorde Filmverlei­h 2013/Christian Lüdeke »Die andere Heimat« (2013) offenbart in unvergessl­ichen Bildern noch einmal den gesamten Reitz.
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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen

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