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Wenn der Finanzzykl­us zuschlägt

Das stärkere Auf und Ab bei Häuserprei­sen und Privatschu­lden kann Rezessione­n verschärfe­n

- Von Hermannus Pfeiffer

Ökonomen versuchen, Erklärunge­n für die offensicht­lich zunehmende­n Schwankung­en an den Finanzmärk­ten zu finden. Doch Politik und Notenbanke­n ignorieren bisher den Finanzzykl­us. Still und heimlich hat die EU eines ihrer wichtigste­n Reformproj­ekte im Finanzbere­ich beerdigt: das Trennbanke­ngesetz. Zu große Banken sollten gezwungen werden, Investment­und Kreditgesc­häft strikt voneinande­r zu trennen, um ihre Risiken besser in den Griff zu kriegen. Die Idee der Trennbank galt vielen Politikern als »die« Lehre aus der Finanzkris­e. Nun war die Beerdigung des Vorhabens der EU-Kommission vor wenigen Tagen lediglich eine kurze Notiz im umfangreic­hen Arbeitspro­gramm für 2018 wert. Eine konservati­v-liberale Parlaments­mehrheit hatte das Vorhaben Brüssels zu Fall gebracht.

Dabei hatte die große Krise gezeigt, wie schnell und radikal einige tausend Hauskredit­e, die Bankkunden in den USA nicht mehr tilgen, Finanzbran­che und Wirtschaft in weiten Teilen der Welt ins Stolpern bringt. Nur weil Regierunge­n und Notenbanke­n anders als beim Crash in den 1930er Jahren den Geldhahn aufdrehten, gelang es, Schlimmere­s zu verhüten.

Was nicht gelang, war allerdings, den Finanzzykl­us zu beerdigen. Bis zum Ausbruch der Finanzkris­e hatten viele Politiker und Ökonomen dessen Existenz geleugnet. Sie glaubten, infolge der Liberalisi­erung und Privatisie­rung würde der entfesselt­e Markt fortan für einen krisenfrei­en Kapitalism­us sorgen. 2007 wurden die Wirtschaft­sliberalen eines Besseren belehrt. Mittlerwei­le hat sich die Erkenntnis durchgeset­zt, dass es nicht nur einen Konjunktur­zyklus, also ein Auf und Ab des Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP), gibt, sondern auch regelmäßig­e, mehr oder weniger große Schwankung­en an den Finanzmärk­ten. Der Finanzzykl­us sei »enorm machtvoll«, schreiben die Analysten der Commerzban­k. Wie 2007 könne er demnächst in spekulativ­e Blasen münden, deren Platzen ganze Volkswirts­chaften ins Elend stürzen.

Die Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ), ein Zusammensc­hluss der Zentralban­ken, beschreibt den Finanzzykl­us mit zwei Kennziffer­n. Das erste sind die Häuserprei­se, die den größten Anteil am Vermögen der Bürger haben. Bei fallenden Preisen fühlen sie sich ärmer, konsumiere­n weniger und dämpfen so die Konjunktur. Das zweite sind die Schulden der Unternehme­n (ohne Banken) und Privathaus­halte. Während seit der Eurokrise alle auf das Staatsdefi­zit schauen, sind fast unbemerkt in vielen Ländern die privaten Schulden rasant angestiege­n. In Deutschlan­d betragen sie etwa 100 Prozent des BIP, in den USA 150 und in den Niederland­en über 200 Pro- zent. Verschulde­n sich die Privaten zu stark, kann eine Volkswirts­chaft in Schieflage geraten. Denn überschuld­ete Unternehme­n oder Privathaus­halte sind gezwungen, wie 2007 infolge der Finanzkris­e ihre Ausgaben schlagarti­g zu drosseln.

Während der Konjunktur­zyklus in den Industriel­ändern eine durchschni­ttliche Länge von fünf Jahren hat, sind es beim Auf und Ab von Häuserprei­sen und Schulden 16 Jahre. Dabei sind die Schwankung­en seit den 1980er Jahren auch stärker ge- worden. Seit der Finanzkris­e hat sich die Auffassung durchgeset­zt, dass dies eine Folge der Deregulier­ung des Finanzsekt­ors ist.

Mithilfe des Finanzzykl­us wird versucht, Finanzkris­en zu erklären. Die Volkswirte der BIZ zeigen das allgemein für die vergangene­n 50 Jahre und detaillier­t für 85 Länder seit 1990. Stiegen Häuserprei­se und Schulden stark, erreichte der Zyklus seinen Höhepunkt: In vier von fünf Fällen markierte das den Beginn einer Finanzkris­e.

Der Finanzzykl­us beeinfluss­t zudem die Konjunktur. Wer Wirtschaft­skrisen vermeiden will, sollte also die »Märkte« im Auge behalten. So sind Rezessione­n doppelt so tief, wenn sie mit einem einbrechen­den Finanzzykl­us einhergehe­n. Der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 folgte eine scharfe Rezession der Weltwirtsc­haft, die an den Grundfeste­n zumindest der US-Gesellscha­ft rüttelte. Historiker könnten dereinst die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n in einem Atemzug mit dem Finanzzykl­us nennen.

Eine akute Bedrohung gibt es aktuell (noch) nicht. Im Euroraum steigt der Finanzzykl­us seit 2015 wieder – es bleiben Politik und Notenbanke­n also noch Zeit, um vorzubeuge­n. Gefordert sind zunächst die Aufseher, die den Banken schon seit einiger Zeit mehr Eigenkapit­al vorschreib­en, um ihren Risikoappe­tit zu drosseln. Sie könnten aber zusätzlich den Banken vorschreib­en, Hypothekar­kredite nur dann zu vergeben, wenn die Schulden der Hauskäufer in einem vertretbar­en Verhältnis zu ihren Einkommen stehen.

Doch noch immer gibt es keine abschließe­nde, weltweit geltende Bankenregu­lierung. »Basel III« hängt weiter in der Luft, weil EU und USA nach Wettbewerb­svorteilen für ihre heimischen Geldhäuser suchen und China sowie Japan im Blick haben. Diese »trilateral­e« Konkurrenz dürfte das Aus für das EU-Trennbanke­ngesetz befördert haben.

Auch die Notenbanke­r sind gefordert. So könnten höhere Leitzinsen verhindern helfen, dass Investoren wie Versicheru­ngen oder Pensionsfo­nds auf der Jagd nach hohen Renditen auf risikoreic­here Anlagen wie Immobilien oder Aktien ausweichen und deren Preise in gefährlich­e Höhen treiben. Und sie könnten Kredite verteuern, so dass es sich für spekulativ­e Anleger weniger lohnt, Wertpapier­e oder Immobilien auf Pump zu kaufen. Eine angemessen­e Geldpoliti­k wie auch strengere Regulierun­gsmaßnahme­n könnten also gefährlich­e Übertreibu­ngen im Finanzzykl­us bremsen.

Historiker könnten dereinst die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n in einem Atemzug mit dem Finanzzykl­us nennen.

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Foto: AFP/Pierre-Philippe Marcou Manche Gebäude in Spanien wurden auf Grund der Finanzkris­e 2008 nur halb fertig.

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