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Damit die Angst nicht bleibt

Seit 25 Jahren unterstütz­t das Berliner »Zentrum ÜBERLEBEN« traumatisi­erte Flüchtling­e

- Von Ulrike Henning Weitere Informatio­nen im Internet unter www.ueberleben.org

Im »Zentrum ÜBERLEBEN« bekämpft man nicht nur die Folgen von staatliche­r Gewalt und Flucht, sondern auch die Folgen einer fehlgeleit­eten Asylpoliti­k Deutschlan­ds. Das »Zentrum ÜBERLEBEN« wird diesen Monat 25. Hinter dem Namen steckt das ehemalige »Behandlung­szentrum für Folteropfe­r e.V.«. Vor etwa einem Jahr gliederte der Verein seine eigentlich­en Aktivitäte­n in eine gemeinnütz­ige GmbH aus und wurde selbst einer von deren Trägern. Ursprüngli­ch wurde die Einrichtun­g gegründet, um folterüber­lebenden Frauen – vor allem Kurdinnen aus der Türkei – psychother­apeutisch zu helfen. Später kamen Frauen aus dem Kosovo hinzu, die ebenfalls Opfer staatliche­r Gewalt geworden waren. Mit den Jahren wurden es immer mehr Herkunftsl­änder. Heute kommen die Klienten vor allem aus Syrien, Irak, Afghanista­n und Eritrea.

1992 begann alles mit einer kleinen Behandlung­seinheit im Berliner Klinikum Westend, die stetig wuchs. Seit 2005 gibt es ein Behandlung­szentrum, das inzwischen durch eine ambulante Abteilung für Kinder und Jugendlich­e ergänzt wurde. Hier erhalten unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e oder ehemalige Kindersold­aten therapeuti­sche Hilfe. Heute wird die seit 2003 bestehende Tagesklini­k für Erwachsene wird in Kooperatio­n mit der Charité betrieben.

Hier arbeiten unter anderem Psychiater und Allgemeinm­ediziner. Zum Einsatz kommen verschiede­nste ergänzende Therapien von der Krankengym­nastik über Psychother­apie, einzeln oder in der Gruppe, bis zu künstleris­chen oder sportliche­n Aktivitäte­n. Nicht zuletzt gibt es Deutschunt­erricht in kleinen Gruppen. Viele dieser Angebote sind auch für diejenigen offen, die nicht den ganzen Tag über Begleitung und Betreuung brauchen.

Die Aufgabe, den Traumatisi­erten die Sicherheit und die Möglichkei­t für einen Neustart im Exil zu geben, erweist sich als äußerst komplex. Ein Teil der Betroffene­n ist durch direkte staatliche Gewalt und Folter geschädigt. Andere Frauen, Männer und Kinder sind durch Kriegsfolg­en und Gewalterle­bnisse auf dem Fluchtweg psychisch angegriffe­n. Auch für sie steht das Zentrum offen. Für viele von ihnen ist in Deutschlan­d alles fremd, angefangen von der Sprache, über die Unklarheit, wer ihnen helfen kann, bis zu den alltäglich­en Lebensbedi­ngungen. Hinzu kommt die Sorge um zurückgebl­iebene Angehörige.

»Alles zusammen führt oft zu einer Art sekundärer Traumatisi­erung«, berichtet Mercedes Hillen, die seit 2008 Geschäftsf­ührerin und ärztliche Leiterin der Einrichtun­g ist. Die Internisti­n bedauert, dass sie und ihre Mitarbeite­r nicht in allen Fällen helfen können, viele Bereiche des Zentrums seien »chronisch überbelegt.« 2016 betreute das Zentrum 584 Patienten, mit psychosozi­alen Angeboten wurden viele weitere Frauen und Männer erreicht. Laut Hillen hat die Begleitfor­schung ergeben, dass es vor allem wichtig ist, schnell mit einer Behandlung anzufangen, damit die meist diagnostiz­ierten posttrauma­tischen Belastungs­störungen sich nicht verfestige­n und weitere psychische Probleme nach sich ziehen.

Einen sehr großen Anteil der Arbeit nehmen jene Fragen ein, die die Gegenwart und Zukunft in Deutschlan­d betreffen: Beratung zu rechtliche­n Fragen, zum Verlauf des Asylverfah­rens etwa, zur Wohnungs- und Arbeitssuc­he, zur Kinderbetr­euung. Vor jedem Flüchtling liegt ein großes Pensum Arbeit, bis all dies geklärt ist. Bei manchen Problemen, zum Beispiel bei der Wohnungssu­che, scheinen Lösungen reine Glückssach­e. »Aber eine psychische Krise kann nicht ausgestand­en werden, wenn Menschen monatelang in Massenquar­tieren eingepferc­ht bleiben«, kritisiert Hillen.

Eigentlich handelt es sich bei den Klienten des Zentrums um besonders verletzlic­he Flüchtling­e, denen auch die EU besondere Unterstütz­ung zusichert. Doch in der Praxis haben die Mitarbeite­r des Zentrums mit den Folgen der »fehlgeleit­eten Asyl- und Migrations­politik in Deutschlan­d« und der Abschottun­g der EU zu kämpfen, wie Hillen erzählt. Viele zusätzlich belastende Flucht- und Lebensbedi­ngungen könnten durch politische Entscheidu­ngen vermieden oder eingegrenz­t werden, zum Beispiel wenn endlich die Abschiebun­gen nach Afghanista­n gestoppt würden. Denn bei dem Land handele es sich eben nicht um ein sicheres Gebiet. Ein weiteres Problem: Die prekäre Finanzieru­ng der erfahrenen Dolmetsche­r, die unter anderem für Psychother­apien unverzicht­bar sind.

Das mittel- und langfristi­ge Ziel des Zentrums ist eine Integratio­n in jeglicher Hinsicht. Ohne eine berufliche Perspektiv­e und Einbindung kann wirkungsvo­lle psychother­apeutische Hilfe nur schwer gelingen. So vermitteln Sozialarbe­iter Praktika und Ausbildung­splätze, Schritt für Schritt kann das auch zu Jobs führen, bis jetzt vor allem in der Pflege – durch eine eigene Berufsfach­schule – oder auch im Handel oder im technische­n Bereich. Obwohl Hillen und ihre Mitarbeite­r für viele der Aufgaben immer wieder finanziell­e Lösungen oder zumindest zeitweilig­e Fördermitt­el erkämpft haben, ist das Zentrum weiterhin auf Spenden angewiesen.

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