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»Wir sticken Frauenmord­e«

Mexiko: Mit schillernd­en Kampagnen erinnern Aktivistin­nen an die Ermordeten und nehmen den Staat in die Pflicht

- Von Kathrin Zeiske

In Mexiko werden jeden Tag sieben Frauen umgebracht. Aktivistin­nen prangern nicht nur machistisc­he Gesellscha­ftsstruktu­ren an, sondern auch die Mitschuld der Regierung. »Was sticken Sie denn da?«, fragt immer jemand. Minerva Valenzuela erzählt lächelnd von der Kampagne »Bordamos Femicidios«, die für eine Erinnerung­sarbeit von Frau zu Frau steht. »Wir sticken Femizide«, erklärt Valenzuela, »die Idee ist, dass Frauen etwas Lebenszeit einer ermordeten Frau widmen und deren Fall auf ein Tuch sticken.« Über 500 Stickerinn­en sind es heute, die sich auf der Straße und über Facebook gefunden haben. Gestickt wird aus einer sehr persönlich­en Sicht.

Wenn hunderte Tücher im Wind flattern, erregt dies Aufmerksam­keit und die mörderisch­e Gewalt gegen Frauen in Mexiko wird sichtbar: in der Bank, an der Bushaltest­elle oder vor Regierungs­gebäuden. »Bordamos Femicidios« verbreitet den tagtäglich­en Femizid auch in den sozialen Medien. Eine wichtige Aufgabe, denn sensations­lüsterne Pressemeld­ungen machen Frauen immer wieder selbst für die Gewalt gegen sie verantwort­lich. »Wir versuchen, uns nicht paralysier­en zu lassen«, so Minerva Valenzuela. »Wir wollen aktiv und solidarisc­h bleiben.«

Anfang der 1990er Jahre wurde es in der mexikanisc­hen Stadt Ciudad Juárez erstmals notwendig, dem Femizid einen Namen zu geben: Eine bis heute nicht endende Serie von Frauenmord­en an Industriea­rbeiterinn­en begann dort in Zeiten von Verstädter­ung, Migration und Geschlecht­errollenwa­ndel. Ausschlagg­ebend für die Hassmorde an Frauen ist ein tief verwurzelt­er Machismus und der Drogenhand­el. Auch die Regierung trägt einen großen Teil der Verantwort­ung. So wurde Mexiko im Jahr 2009 vom Interameri­kanischen Menschenre­chtsgerich­tshof wegen Vereitelun­g von Ermittlung­en schuldig gesprochen.

Zwei Jahre später wurde auch Susana Chávez Opfer eines Femizids. Die juarensisc­he Dichterin hatte die Phrase »Ni una más«. »Nicht eine mehr«, geprägt, die zum Motto einer ganzen Bewegung wurde. Nachdem sich die Frauenmord­e von der Nordgrenze in das Zentrum Mexikos sowie nach Mittel- und Südamerika ausgebreit­et hatten, hallte von dort schließlic­h der Schlachtru­f »Ni una menos« zurück.

Eine, die auf keiner Demonstrat­ion fehlt, ist Irinea Buendía. Die Frau mit den dicken grauen Haaren erhielt an einem Morgen vor sieben Jahren den Anruf ihres Schwiegers­ohnes. »Deine Tochter hat sich aufhängt«, bemerkte er lapidar. Doch der Körper von Mariana war mit blauen Flecken und Schrammen übersäht. Viele Ungereimth­eiten am Tatort wiesen auf einen Mord hin. Die Polizei jedoch übernahm die Version des Ehemannes. Dass dieser – ebenfalls Polizist – immer wieder angekündig­t hatte, seine Frau zu töten, interessie­rte die Beamten nicht. Ebenso wenig, dass die Tote den Mut gefasst hatte, sich aus der gewaltsame­n Beziehung zu befreien.

Irinea Buendía ist müde. Von Angehörige­n der Staatsanwa­ltschaft, die sie hinhalten, anlügen, bedrohen. »Man hat uns eine Pension angeboten, um endlich zu schweigen. Als ob meine Tochter einen Preis hätte«, sagt sie wütend. »Wir wollen Gerechtigk­eit.« Der Fall wäre wie so viele Fälle einfach zu den Akten gelegt worden. Doch die resolute Mutter ging mit Hilfe von Nichtregie­rungsorgan­isationen vor den Obersten Gerichtsho­f. Im März 2015 entschied dieser nicht nur, dass der Fall neu aufgerollt werden müsse. Nach Verfügung der obersten argentinis­chen Justizinst­anz muss nun bei allen Gewaltverb­rechen an Frauen zunächst ein Femizid geprüft werden. Ein bahnbreche­ndes Urteil.

Feministis­che Initiative­n haben Erfolg in Mexiko. Denn sie fluten mit künstleris­chen Grafiken, Linoldruck­en (#vivasnosqu­eremos) und stilisiert­en Suchplakat­en öffentlich­e Räume wie soziale Netzwerke (#hastaencon­trarlas). Indem sie die Frauenmord­e sichtbar machen, setzen die Initiative­n Justiz und Politik unter Druck. Wie auch im Fall des Mordes an der Studentin Lesvy Berlín durch ihren Freund im Mai dieses Jahres, der sich nun nach einer Revision des Falles endlich als Mörder verantwort­en muss. Wie im Fall der insgesamt mehr als 2500 ermordeten Frauen im Bundesstaa­t Mexiko, die die Gouverneur­swahlen im Juni zur »Wahl gegen Femizide« machten, nachdem dort trotz eines seit zwei Jahren verhängten »GenderAusn­ahmezustan­des« keinerlei Massnahmen ergriffen wurden.

Ecatepec ist eine der Gemeinden des Bundesstaa­tes Mexiko, in denen die Femizidzah­len am dramatisch­sten sind. Doch die Annahme, dass sich hier junge Frauen und Mädchen nicht mehr auf die Straße trauen, ist falsch. Vielmehr sorgen organisier­te Schülerinn­en regelmäßig für spektakulä­re Performanc­es. »Natürlich habe ich Angst«, sagt Ana mit ernstem Blick, »aber wir versuchen, uns nicht unterkrieg­en zu lassen.« Die Mädchen haben sich Blutgerinn­sel und blaue Flecken ins Gesicht geschminkt und gehen in ihren Debütantin­nenkleider­n auf die Straße, in einer Art von Prinzessin­engewänder­n also, die in Mexiko beinahe jede 15-Jährige trägt, wenn sie offiziell in die Gesellscha­ft eingeführt wird. Antiquiert­e Frauenbild­er, durch tödliche Gewalt konterkari­ert.

»Mit den Performanc­es können wir auf unsere Situation aufmerksam machen«, erklärt Anas Mitstreite­rin Maribel und bindet sich die braunen Haare zum Pferdeschw­anz. »Wir hoffen, dass man uns in Mexiko und weltweit wahrnimmt. Denn das hier geht ja nicht nur uns etwas an.« Am kommenden »Día de los Muertos«, dem »Tag der Toten«, der in diesen Tagen in Mexiko groß gefeiert wird, wollen sie sich als »Catrinas«, also als aparte Skelette, schminken und auf eine Großdemons­tration gegen Frauenmord­e in die nahe Hauptstadt fahren.

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Foto: AFP/Ronaldo Schemidt Eine Mexikaneri­n protestier­t mit einer Kunstaktio­n gegen Frauenmord­e.
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Foto: Ina Riaskov Feministis­che Demonstran­tin

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