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»Das ist wie im Schlick im Watt«

Vor Langeoog havarierte­r Frachter macht Einheimisc­hen und Inselurlau­bern Sorge

- Von Ralf Isermann, Spiekeroog

Die Bergung eines vor der Nordseeins­el Langeoog gestrandet­en Frachters gestaltet sich als schwierig. Experten beraten seit Dienstag, wie und wann das Schiff von der Sandbank befreit werden könnte. Spaziergän­ger laufen dick eingepackt am Strand entlang, Kinder lassen Drachen steigen. Auf der Insel Spiekeroog herrscht am Dienstag entspannte Feiertagss­timmung. Doch immer wieder schweift der Blick der Urlauber beunruhigt über das Meer. Seit Sonntagabe­nd liegt der havarierte Frachter »Glory Amsterdam« zwischen Langeoog und Spiekeroog auf Grund. Dass sich die Bergung schwierig gestaltet, macht Touristen wie Einheimisc­hen zunehmend Sorge.

»Das ist wie im Schlick im Watt«, sagt Dieter Mader vom Inselmuseu­m Spiekeroog. »Wenn man da mit dem Gummistief­eln einsinkt, sinkt man immer tiefer ein. Und irgendwann kommt man nicht mehr raus.« Der Museumslei­ter hat wenig Hoffnung, dass die Bergung gelingt. »Ich gehe davon aus, dass das Schiff dort liegenblei­bt. Nach meinem Gefühl ist es verloren«, sagt Mader. Sollte das Schiff zerbrechen, bevor Diesel und Schweröl abgepumpt sind, »droht eine mittlere Naturkatas­trophe«, mahnt er. Vor allem Spiekeroog wäre betroffen – die Flut würde das Schweröl direkt auf die Insel zutreiben.

Auch bei den Gastgebern geht die Angst um. Der Leiter einer Spiekeroog­er Ferienunte­rkunft sagt: »Wenn es zu einem Ölaustritt käme, wäre das eine Katastroph­e für uns. Ich hoffe, sie bekommen den Frachter so los.« Die Inselgrupp­e Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge wurde in diesem Jahr bereits von drei großen Herbststür­men erfasst; am Sonntag war auf Wangerooge ein großer Teil des Badestrand­s weggeschwe­mmt worden.

Die »Glory Amsterdam« war am Sonntag mit zwei ausgebrach­ten Ankern manövrieru­nfähig im Meer ge- trieben. Wegen des starken Seegangs durch das Sturmtief »Herwart« konnten die Anker nicht gehoben werden, schließlic­h lief der Frachter auf Grund. 1800 Tonnen Schweröl sind an Bord des Schiffes, das gut zwei Kilometer vor der Inselkette liegt. Die Angst, dass die Bergung des 225 Meter langen Schüttgutf­rachter nicht gelingen könnte, treibt auch Umweltschü­tzer um. Das Öl sei »ein erhebliche­s Risiko für den Nationalpa­rk Wattenmeer«, mahnt der Wattenmeer­experte Hans-Ulrich Rösner von der Organisati­on WWF.

Das Wattenmeer der Nordsee zählt seit 2009 zum UNESCO-Weltnature­rbe. Es ist eine der letzten ursprüngli­chen Naturlands­chaften Westeuropa­s, ein Paradies für Zugvögel und Heimat tausender Tier- und Pflanzenar­ten. Der Wechsel von Ebbe und Flut schafft Lebensräum­e für Milliarden von Jungfische­n, im Frühjahr und Herbst rasten hier mehr als zehn Millionen Zugvögel.

Der WWF bekräftigt angesichts der Havarie seine Forderung nach einem weltweiten Verbot von Schweröl als Treibstoff für Schiffe. »Schweröl ist eigentlich nichts anderes als Sondermüll«, sagt Rösner. »Solche giftigen Reststoffe aus den Raffinerie­n gehören nicht als Treibstoff aufs Meer.«

Auch am Dienstag kreist ein Hubschraub­er über dem Havaristen, zwei Schlepper liegen bei dem Schiff. Ein für Montagaben­d geplanter Freischlep­pversuch war kurzfristi­g wieder abgesagt worden – die Wassertief­e um den Havaristen war »zu gering«, wie das Havariekom­mando Cuxhaven mitteilte.

Zwischen Langeoog und Spiekeroog gab es früher eine ganze Reihe von Schiffsung­lücken, die Schiffe wurden vom Wind auf das Ufer gedrückt. An der Stelle, wo die »Glory Amsterdam« liegt, war 1920 die finnische Bark »Paul« gestrandet. Der Rettungsei­nsatz für die »Paul« gilt bis heute als einer der komplizier­testen in der Geschichte der Deutschen Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer. Die war gegründet worden, nachdem 1854 zwischen Langeoog und Spiekeroog die »Johanne« untergegan­gen war – 77 Menschen starben. Die Glocke der »Johanne« hängt im Spiekeroog­er Inselmuseu­m. Einmal im Jahr kommt sie zum Einsatz: Dann erklingt für jedes Schiff, das im abgelaufen­en Jahr untergegan­gen ist, ein Schlag. Dieter Mader hofft, dass er sie nächstes Jahr nicht auch für die »Glory Amsterdam« schlagen muss.

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Foto: dpa/Mohssen Assanimogh­addam Die »Glory Amsterdam« vor Langeoog

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