nd.DerTag

Die Anführer der Hoffnung

Nelli Tügel über die seit 365 Tagen inhaftiert­en HDP-Vorsitzend­en

-

Es gibt so viele politische Gefangene in der Türkei, so viele tägliche Verhaftung­en, dass man längst den Überblick verloren hat – und abzustumpf­en droht. Ein Jahr ist bereits vergangen, seit die beiden Vorsitzend­en der linken HDP, Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, verhaftet wurden. Seitdem sitzen sie im Gefängnis. Die Aufhebung ihrer Immunität als Abgeordnet­e war – auch daran sollte an diesem traurigen Jahrestag erinnert werden – möglich mit Stimmen aus der CHP-Fraktion. Am 7. Dezember soll der Prozess gegen Demirtaş beginnen, ihm und Yüksekdağ drohen absurd hohe Haftstrafe­n wegen Terrorunte­rstützung.

Ihr wahres Vergehen ist indes, dass sie maßgeblich an etwas mitwirkten, das es nie zuvor in der Geschichte der türkischen Republik gab – eine nicht nur auf die kurdische Frage beschränkt­e, aber doch prokurdisc­he, geeinte Linksparte­i, die es vermochte, zivilgesel­lschaftlic­he Kräfte zusammenzu­bringen: Feministin­nen ebenso wie Gezi-Aktivisten und altgedient­e Linke. Das ist der historisch­e Verdienst der ja noch jungen HDP; und das gab 2014/2015 Millionen Menschen die Hoffnung, dass Veränderun­g möglich sei. Dass die Partei es zweimal schaffte, die Zehn-Prozent-Hürde bei Wahlen souverän zu nehmen, belegt dies. Für Erdoğan aber war und ist die HDP ein unerträgli­cher Affront. Dafür, und nur dafür, müssen Demirtaş und Yüksekdağ seit einem Jahr büßen. Sie sind zwei von vielen, für Erdoğan aber sind sie die Kronjuwele­n seiner Gefangenen­sammlung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany