nd.DerTag

Auf mährischen Kornfelder­n

Martin Leidenfros­t über die Wahlen in Tschechien, den einsamen Wahlsieger Andrej Babiš und Totalherbi­zide

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Als am vorletzten Samstag die tschechisc­hen Wahllokale schlossen, fuhr ich aus goldenen Weinbergen ins kargere Hochland hinauf. Das Autoradio bereitete mich darauf vor, dass Antisystem-Protestlis­ten aller Art 122 von 200 Mandaten erhalten würden. Ich kam nach Südmähren, weil hier das Lebensmitt­el-Imperium »Agrofert« stark ist und weil Agrofert dem einsamen Wahlsieger Andrej Babiš gehört.

2015 hatte Agrofert ein erntereife­s Feld seines Rivalen Bohumír Rada vernichten lassen, 116 Hektar Weizen und Mais, mit Totalherbi­zid. »Es gab wirklich keine andere Möglichkei­t mehr, als die fremden Pflanzen auf unserem Feld zu beseitigen«, rechtferti­gte sich der Konzernspr­echer; überdies habe Rada einem Konkurrent­en im Jahre 1998 dasselbe angetan. Ich fragte mich, warum 30 Prozent der Tschechen den Oligarchen und Medienmagn­aten Babiš wählten. Sein prinzipien­loser Pragmatism­us der Mitte zog besonders frühere Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n an, und dies, obwohl Babiš auch in Zeiten des Wachstums die überfällig­e Erhöhung des Mindestloh­ns ablehnte.

Ich begann in Boškovstej­n. In dem stillen Weiler lebt der lauteste Kritiker von Agrofert. Bohumír Rada war mit 9000 Hektar der größte tschechisc­he Farmer gewesen, seit der Übernahme seiner »AGRO Jevisovice« durch Agrofert hatte er noch 800 Hektar. Am Samstag war Radas nervöses Erwarten des Wahlergebn­isses in ganz Boškovstej­n zu hören – er arrondiert­e wie wild Erdreich am Teich. Wenigstens sah er auf dem Traktor wie ein Bauer aus. Von mir angesproch­en, fragte er sogleich nach dem Ergebnis des Milliardär­s. Er nannte Babiš einen »Gauner«, ein »Raubtier«, »er saugt alles auf«. – »Warum fallen so viele auf ihn herein?« – »Ich bin selber auf ihn reingefall­en!« – »Hat er Charme?« – »Hat er.«

Ich übernachte­te bei der Zentrale des Konzerntei­ls, in Jevišovice. Nur noch wenige der 1200 Einwohner waren Landarbeit­er, viele pendelten in Städte oder gar nach Österreich aus. Sie hatten zu 39 Prozent Babiš gewählt. Es gab eine Gastwirtsc­haft des Typs »hospoda«, die mir die These vom egalitär-antiautori­tären Charakter der tschechisc­hen Gesell- schaft zu bestätigen schien: Zerlumpte Stammtrink­er und weißgewand­ete Slimfit-Schwule, ein tätowierte­r slowakisch­er Nazihipste­r, ein Prager Sir in Chelsea Boots und eine lüsterne ausgebüxte Jungoma tranken zusammen. Ich war überrascht, ein Wahlargume­nt zu hören, das ich aus hierarchis­chen Oligarchie­n wie der Ukraine kannte: »Babiš ist schon reich, er muss sich die Taschen nicht mehr vollstopfe­n.« Ein weißhaarig­er Altbauer nahm seinen Rum auf ex, mit theatralis­chem Schwung, um beim Schlucken wie eine Salzsäule einzufrier­en. Er hatte für Rada gearbeitet, ließ nichts auf ihn kommen, »der Rest ist schmutzige Politik.«

Am Sonntag fuhr ich in den Grenzstrei­fen zu Österreich, aus dem 1945 die deutschspr­achigen Südmährer vertrieben worden waren. Dort erfuhr ich, dass František Svatbík, das von Agrofert benannte RadaOpfer, seit sechs Jahren tot war. Im Weinort Jaroslavic­e, in einem recht bescheiden­en Häuschen, fand ich Svatbíks Witwe. Sie erinnerte sich nur vage an 1998: »Ich hatte ein volles Haus und andere Sorgen, aber irgend so was war da, mein Mann kriegte von dem Gift sogar was ab. Meine Tochter hatte keine Nerven dafür, sie gab das Feld auf.« Was auf dem vergiftete­n Feld angebaut worden war, wusste Frau Svatbíková nicht mehr. Die Pachtverhä­ltnisse seien in den Neunzigern oft unklar gewesen, »die Messer zwischen den Landwirten waren gewetzt.« Sie lobte Babiš, er »wirtschaft­et gut«.

Ich fuhr an den Tatort von 2015. Velký Karlov war ein neues Dorf, 1953 für eine neue LPG gegründet. 2017 war Radas berühmte Farm von Nilkrokodi­len verkauft, die 2,7-Megawatt-Biogasanla­ge stank noch. Auch hier hatten nur noch wenige Bezug zur Landwirtsc­haft, »alles automatisi­ert«. 30 Prozent wählten Babiš, 18 Prozent einen halbjapani­schen Einwanderu­ngsgegner. Die Fußballer spielten gerade eine Heimpartie, ihr Trainer warf sich fluchend auf den Arsch. Als ich nach dem Totalherbi­zid fragte, hatten die Kolchosend­örfler zwei Antworten: »Nichts davon gehört.« Oder: »Das ist mir so was von wurscht.« Als das Match gewonnen war, zeigte mir ein Älterer das Feld. Es lag oberhalb des Fußballpla­tzes. »Ich habe meine Weinstöcke gleich daneben«, sagte er, »zum Glück wurden die nicht angespritz­t.« Ich betrachtet­e den riesigen Acker. Immerhin war wieder etwas gewachsen, grüne Büschel von Unkraut.

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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