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Fetzen auf Wiedervorl­age

Es sieht nicht gut aus für eine Jamaika-Koalition, aber Angst vor Neuwahlen hält die Beteiligte­n zusammen

- Von Uwe Kalbe »Jamaika ist eine Totgeburt.«

Am Freitag beschauten die Unterhändl­er von Union, FDP und Grünen die Ergebnisse ihrer bisherigen Sondierung­en. Eine Zwischenbi­lanz war zu ziehen, und sie fällt wenig verheißung­svoll aus. Selbst über die Form der Niederschr­iften gab es anfangs Uneinigkei­t. Eine Protokolli­erung der Sondierung­srunden von Union, FDP und Grünen lehnten die Liberalen ab. Zu groß sei die Gefahr, dass Teile davon an die Öffentlich­keit durchgesto­chen würden, um die Gespräche durch den so erzeugten öffentlich­en Druck zu beeinfluss­en. Die Sondierung­en für eine Jamaika-Koalition galten von Anfang an als Wagnis. Dieses wird gemindert durch die Entschloss­enheit der potenziell­en Koalitionä­re. Ein wichtiger Grund: Die Alternativ­e heißt Neuwahlen, nachdem die SPD die Rekrutieru­ng als Juniorpart­ner einer Großen Koalition ausgeschlo­ssen und sich in ihrer Rolle als Opposition­sführerin im Bundestag eingericht­et hat. »Ob das die bessere Alternativ­e ist, das möchte ich mal bezweifeln«, warnte schon mal der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von den Grünen. »Schließlic­h können wir ja nicht dieses Volk so lange wählen lassen, bis es uns gefällt.« In einem Scheitern sähe Kretschman­n eine Katastroph­e, wie er bekannte.

Zwei Wochen nach Beginn hat sich nun bestätigt, dass die Sondierung­en kein Zuckerschl­ecken für die Beteiligte­n sind. Man habe nunmehr alle wichtigen Themen sowie die unterschie­dlichen Bewertunge­n der Parteien hierzu gesammelt, nun folge in der zweiten Phase die Suche nach Annäherung­en, versuchte FDPChef Christian Lindner die Erwartunge­n der Journalist­en am Freitag zu kanalisier­en. Bisher sei es noch nicht um Lösungen und Gemeinsamk­eiten gegangen; solche seien, wo es sie gab, allenfalls »Kollateral­nutzen« gewesen.

Die Aussichten auf Erfolg sind nicht wirklich besser als zu Beginn. Von zwölf als Regierungs­schwerpunk­te identifizi­erten Themenkomp­lexen, die inzwischen alle einmal gemeinsam durchdekli­niert wurden, waren am Freitag acht in Arbeitspap­ieren nie- dergelegt, zu den anderen waren die Differenze­n zu groß selbst für eine gemeinsame Definition der Probleme. Vor allem umstritten sind die Felder Haushalt und Finanzen, Migration und Flüchtling­e sowie der Bereich Klimaschut­z mit Verkehr, Landwirtsc­haft und Energie. Diese Themen zählte Bayerns FDP-Chef Albert Duin

Grüne-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt als die »großen Brocken« auf, die nun aus dem Weg geräumt werden müssten.

Ob dies eine realistisc­he Hoffnung ist, vor allem angesichts der verbleiben­den zwei Wochen, das ist die große Frage. Nach dieser Frist wollen die Parteien ihre Gremien darüber befinden lassen, ob Koalitions­gespräche begonnen werden sollten. Die Grünen haben am 25. November gar einen Parteitag dafür anberaumt. Bayerns FDP-Chef Albert Duin jedenfalls räumt dem Versuch kaum eine Erfolgscha­nce ein. »Jamaika ist eine Totgeburt«, sagte er den Zeitungen des Redaktions­netzwerks Deutschlan­d und machte den »ideologisc­hen Hypermoral­ismus« der Grünen dafür verantwort­lich. Duin prophezeit­e: »Wir werden monatelang eine geschäftsf­ührende Bundesregi­erung unter Angela Merkel erleben, bis sich die Aufregung um die AfD gelegt hat. Und dann gibt es Neuwahlen.«

Solch ein rigoroses Urteil ruft bei den Unterhändl­ern wenig Freude hervor, Lindner wiegelte mit der Bemerkung ab, Duin habe an nicht einer Gesprächsr­unde teilgenomm­en. Er könne nicht Bescheid wissen, sollte dies wohl bedeuten. Doch manche bekannt gewordenen Kommentare aus diesen Runden sind durchaus angetan, die Zweifel Duins nachzuvoll­ziehen. Die Fetzen seien geflogen, hieß es da, und die Runde über Einwanderu­ng und Flüchtling­e platzte gar vollends, die Teilnehmer schieden im Streit. Erst ein Spitzentre­ffen am Wochenende konnte die Reihen der Streithähn­e wieder ordnen. Das Thema wartet nun auf Wiedervorl­age in der nächsten Woche.

Die Positionen liegen auf vielen Feldern weit auseinande­r. Während die FDP von Steuererle­ichterunge­n träumt, wies Jürgen Trittin von den Grünen auf einen Investitio­nsstau von 100 Milliarden Euro in Deutschlan­ds Kommunen und einen Pflegenots­tand hin. Überhaupt Trittin. Noch kurz vor den Sondierung­en hatten die Spitzenkan­didaten Göring-Eckardt und Cem Özdemir zunächst nicht bestätigen wollen, dass Trittin an den Gesprächen teilnehmen werde. Dass er nun dabei ist, kann als Selbstschu­tz der Spitzenkan­didaten gelten, die wohl nicht riskieren wollen, die Verantwort­ung für das Ergebnis der Sondierung­en gegenüber der Partei allein zu tragen. Für Trittin ist dies freilich auch ein Risiko. Denn einen Kompromiss, der die Partei überforder­t, wird diese zuerst ihm als Parteilink­em ankreiden. Die Union dürfte allerdings von seiner Teilnahme am wenigsten begeistert gewesen sein. Nach den Sondierung­en vor vier Jahren warf sie ihm vor, unannehmba­re Forderunge­n gestellt und die Gespräche damit platzen lassen zu haben. Ergebnis war die Große Koalition. Heute gilt die nun als ausgeschlo­ssen.

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Foto: fotolia/Kunstzeug

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